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Eine Art Hungerkünstler

■ Herman Melvilles „Bartleby“ in neuer, einfühlsamer Übersetzung

Bartleby ist eine der merkwürdigsten Figuren der Weltliteratur: Prototyp des Arbeits-, Welt- und Lebensverweigerers, einer, der in der geschäftigen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts einfach nicht mitspielen will. Bartleby wird eines Tages als Kanzleischreiber im Büro eines New Yorker Wall-Street-Notars eingestellt und fällt zunächst nur durch sein stoisches Verhalten und seinen enormen Schreibfleiß auf. Doch alle Arbeiten, zu denen er sein Pult hinter einem Paravent verlassen müßte, lehnt er mit der stereotypen Floskel „I prefer not to“ ab – bis er schließlich auch das Schreiben selbst verweigert und nur noch aus dem Fenster auf eine Mauer starrt. Melvilles Untertitel „A Wall Street Story“ bekommt so eine abgründige, doppelte Bedeutung.

Bartlebys unnahbare und geheimnisvolle Existenz treibt die anderen Mitarbeiter des Notariats und besonders den Chef selbst, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, in zunehmende Ratlosigkeit. Weil Bartleby, der in der Kanzlei heimlich übernachtet und sich – ein früher Vorfahr von Kafkas Hungerkünstler oder seiner Bürokratiegeschädigten – von nichts als Ingwerkeksen ernährt, weder auf die Kündigung noch auf die Aufforderung, den Raum zu verlassen, reagiert, entscheidet sich der Chef schließlich zum Umzug und läßt den schweigenden, wie blind vor sich hin starrenden Bartleby in den leeren Räumen zurück. Die nächsten Mieter verfrachten ihn, weil sie sich nicht mehr zu helfen wissen, ins Gefängnis, wo er eines Morgens, hingekauert vor einer Mauer, verhungert gefunden wird. Das Rätsel seines Lebens bleibt ungelöst.

Der Merlin Verlag legt die trostlose Geschichte nun in einer bibliophilen Ausgabe und in unauffälliger und insofern gelungener Übersetzung von Peter von Düffel und Aspekte-Literaturpreisträger John von Düffel vor. „Ich möchte bevorzugtermaßen nicht“, lautet Bartlebys Formel in dieser Fassung, in der sich sehr schön nachvollziehen läßt, wie das Wörtchen „bevorzugtermaßen“ allmählich von Bartlebys Umgebung Besitz ergreift. Illustriert ist diese Ausgabe mit neun Radierungen von Peter Paone, Professor an der Academy of Fine Arts in Philadelphia. Weil Paone den Text jedoch allzu direkt umsetzt, fügen seine Bilder dem Text nichts Eigenes hinzu und bleiben ein bißchen harmlos. Trotzdem ist ein sehr schönes Buch entstanden. Jörg Magenau

Herman Melville: „Bartleby“. Deutsch von John und Peter von Düffel. Mit Radierungen von Peter Paone. Merlin Verlag, Gifkendorf 1998, 56 Seiten, 48 DM

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