: Sinologen zu Personalchefs
Mit einem Arbeitsmarktprogramm versucht die Universität Bochum, Geisteswissenschaftler als Führungskräfte in der Wirtschaft unterzubringen ■ Aus Bochum Devrim Karahasan
Eine Prise Postmoderne, etwas Feminismus, ein Teil Medienkritik – dazu viel Disziplin und etwas Qual: Fertig war die Magisterarbeit. Danach hatte Stephanie Brinkmann, die in Bochum Kunstgeschichte studiert hat, eigentlich auf einen Job im Kulturbereich gehofft. Statt dessen landete sie als Praktikantin im Presse- und Öffentlichkeitsbereich eines Messeunternehmens.
Stephanie ist eine von rund 20 „Trainees“ des neuartigen Arbeitsmarktprogramms für Geisteswissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum. Die Trainierten sollen in zwei Etappen zu künftigen Führungskräften der Wirtschaft ausgebildet werden. Im theoretischen Teil des Programms machen sie sich bei einer Personalberatung drei Monate lang mit Management, Marketing und Arbeitsrecht vertraut. Dabei üben sie auch Techniken für das Bewerbungsgespräch, denn für den zweiten Teil ihrer Ausbildung müssen die Teilnehmer selbst Praktikumsplätze in Unternehmen finden. Während des Praktikums hat Stephanie dann Pressetexte formuliert.
Erstmals bietet eine Universität ihren geisteswissenschaftlichen Absolventen eine arbeitsmarktspezifische Qualifikation an. Unter den rund 70 Bewerbern für den ersten Durchlauf wurden die 21 besten nach Examensnote und Lebenslauf ausgewählt. Die Organisatoren lockten diese Pioniere nicht zuletzt mit der Aussicht auf Weiterbeschäftigung.
Das Messeunternehmen, bei dem sich Stephanie beworben hatte, konnte ihr zwar keinen Job in Aussicht stellen. „Doch bevor ich wahllos weiterjobbe, dachte ich, hole ich mir lieber noch eine zusätzliche Qualifikation“, sagt sie. Nach Abschluß der Kurzlehre und zahllosen Bewerbungen ist die 30jährige Kunsthistorikerin als Pressereferentin bei einer Handelsgesellschaft gelandet. Das ist zwar nicht ihr Traumjob im Kulturbereich, aber zumindest ein Einstieg ins Berufsleben.
Eine Erfolgsgeschichte vom Kunsthistoriker zum Trainee-Anwerber hat dagegen Bernd Konschak hinter sich. Daß er im Bewerbungsgespräch bei einer großen deutschen Supermarktkette Eindruck machen konnte, führt er auf seine vielen Nebenjobs während des Studiums zurück. Von Anfang an habe man ihn dort „ganz locker“ in seinen Aufgabenbereich Hochschulmarketing eingearbeitet.
Dort beschäftigte er sich zunächst mit Plänen für die Ausbildung von Führungskräften. Bereits nach zwei Monaten nahm er selbst an Bewerbungsgesprächen teil. „Das war wirklich der Knaller, mal auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen“, sagt Bernd, „beim ersten Mal war ich nervöser als die Bewerber.“ Der 32jährige ist zum „internen Trainee“ der Supermarktkette aufgestiegen und rekrutiert nun Universitätsabsolventen für das hausinterne Trainee- Programm.
Insgesamt wurden von den 21 Absolventen des ersten Bochumer Trainee-Programms zwölf fest angestellt. Neben Kunsthistorikern haben auch Sinologen, Germanisten, Archäologen und Philosophen Geschmack an der Umschulung zu Führungskräften der Wirtschaft gefunden.
Unter ihnen befinden sich auch Absolventen des Reformstudiums mit B.A.-Abschluß. Den „Bakkalaureatus Artium“ können Studenten der Ruhr-Universität seit 1993 erwerben. In diesem sechssemestrigen Studium wird der Akzent auf den Praxisbezug gelegt: EDV-Kurse, Sprachkurse und Praktika sollen das theorielastige geisteswissenschaftliche Studium auflockern und so die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Wer sein Studium mit dem Magistertitel (M.A.) krönen will, kann zwei Semester draufsatteln. Der M.A. soll ein Vertiefungsstudium nach Erlangung des ersten akademischen Grades, des B.A., sein. Das Trainee-Programm schließlich ist Teil dieses Reformkonzepts, dem es um größere Flexibilität und arbeitsmarktorientierte Ausbildung geht.
Diese neuartige Initiative der Ruhr-Universität solle dem erhöhten Qualifikationsbedarf von Geisteswissenschaftlern gerecht werden, sagt Carola Gropp, die das Trainee-Programm mitbetreut: „Wir müssen mit Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern konkurrieren, neue Arbeitsfelder für Geisteswissenschaftler wird es nicht geben.“
Das Trainee-Programm, das vom Landesarbeitsamt Nordrhein- Westfalen finanziert wird, soll den geisteswissenschaftlichen Studenten eine Alternative zur klassischen Universitätslaufbahn bieten und ihnen dabei helfen, den Einstieg in ungewohnte Arbeitsbereiche zu finden. Was Betriebswirte können, können Geisteswissenschaftler schon lange – so lautet die Devise der Initiatoren. Der Zulauf der Studierenden scheint ihnen bislang recht zu geben. Pro Jahr werden höchstens 150 Bewerber zum B.A.-Reformstudium zugelassen. Zudem haben dieses Jahr 60 Bewerber Interesse am Bochumer Trainee-Programm bekundet, das im Oktober 1998 in seinen zweiten Durchlauf geht.
Für Stephanie kam das Trainee- Programm jedenfalls gerade richtig. Während des Studiums hatte sie sich kaum Gedanken über ihre konkrete berufliche Zukunft gemacht – wie die meisten ihrer Kommilitonen. Auch Bernd gesteht: „Daran habe ich gar nicht gedacht, als ich anfing zu studieren.“
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