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Potenzstrotzende Militanz

■ Die rebellische Geste als Dreh- und Angelpunkt: Stephanie Grimm untersuchte die Konstruktion von Männlichkeit in Rap und Punk - und stieß auf den Normalzustand Mann

Etwa so: Ein schwarzer, dicker Sänger mit zahllosen Goldketten und Goldzähnen steht vor einem rosa Cadillac. Die schönen Frauen um ihn herum wiegen ihre großen Brüste im Takt. In einem anderen Video singt ein Gangsta Rapper: „So we started lookin' for the bitches with the big butts / Like her, but she keep cryin' / ,I got a boyfriend‘ / Bitch stop lyin'“.

Oder: Eine Handvoll wüster Rüpel steht auf der Bühne und macht Krach. Der Bassist rotzt und spuckt ins Publikum. Der Sänger hält sich am Mikrophonständer fest, in sich zusammengefallen wie der Glöckner von Notre Dame. Er schreit voller Haß und Entzücken: „I got no emotions for anybody else / You better understand / I'm in love with myself, myself.“

This was not a love song, sondern Punk in Reinkultur: ein Konzert der Sex Pistols, wie es Greil Marcus 1978 beschrieben hat. Beide Szenen beschreiben Inszenierungen von Männlichkeit – mit der rebellischen Geste als Dreh- und Angelpunkt. In ihrer gerade veröffentlichten Arbeit „Die Repräsentation von Männlichkeit im Punk und Rap“ prüft Stephanie Grimm, ob das Modell Rebellion wirklich darstellt, was es verspricht: eine Alternative zu konventionellen Männlichkeitskonzepten.

Kundig führt sie den Leser durch die aktuelle Diskussion um die Konstruktion von Männlichkeit: Männer inszenieren Rebellion in der Rock- und Popmusik, um dem Bild der Individualität und Selbstbestimmung zu entsprechen. Hierzu grenzen sie sich von den üblichen Modellen von Männlichkeit ab, von gesellschaftlichen Verpflichtungen in der Familie, der „Sphäre der Frau“, vom schalen Geschmack des ebenfalls weiblich konnotierten Mainstreams.

Daß sich in diesem Umfeld neue Modelle von Männlichkeit aber auch nur einen Millimeter von den alten unterscheiden, zweifelt Grimm besonders beim Rap an. Widerstand wird hier als Aufgabe der Männer betrachtet. Bis vor kurzem gab es in diesem Musikstil kaum Musikerinnen, Koalitionsbildungen von schwarzen Frauen werden oft als Verrat an der black community angeprangert. Weder Rapper noch ihre Kritiker reflektieren Unterschiede in der afroamerikanischen Gesellschaft. Neben dem politisch-aufklärerischen Rap, bei dem sich Antirassismus und Sexismus keineswegs ausschließen, ist es vor allem der Gangsta Rap, den die Autorin sehr genau überprüft. Diese Art von Rap, so ihre Analyse, konstruiert Männlichkeit vor allem durch in den Texten formulierte Gewaltbereitschaft. Nach außen hin findet zwar Grenzüberschreitung statt, von innen betrachtet reproduziert der Gangsta Rapper aber ebenso die Befehlsgewalt der weißen Männer wie der politisch-aufklärerische und auch der seichte Mainstream-Rap.

Inwieweit es sich bei dicken Goldklunkern, sexistischen Sprüchen und potenzstrotzender Militanz auch um eine Ironisierung antiquierter Rollenmuster handeln könnte, bleibt bei Grimm nur angedeutet. Daß in diesem Klima keine Alternativen gedeihen, genügt ihr, um dieses Kapitel abzuschließen. Schade!

Punk dagegen, so erläutert Stephanie Grimm vor allem am Beispiel der Sex Pistols, konzentrierte sich vor allem auf seine Zerstörungswut. Hier montierte man bekannte Zeichen zu schockierenden Collagen, trug zum Beispiel Klamotten aus der Altkleidersammlung, bemalt mit Hakenkreuzen, ebenso wie Lack und Leder. Die Ästhetik von Punk war asexuell, der Körper wurde krank und schwach dargestellt. Durch die Konstruktion von Männlichkeit als Opposition zur Gesellschaft, nicht zur Weiblichkeit, wurde Frauen, glaubt Grimm, die Identifikation mit diesem Modell von Rebellion erst möglich. Sie widerspricht damit der Einschätzung der Autoren Simon Reynolds und Joy Press von Punk als „solidly imbued with macho values“, die sie in ihrem viel diskutierten Buch „The Sex Revolts – Gender, Rebellion and Rock'n'Roll“ vertreten. Als Beispiel führt sie die „Riot Grrrl“-Bewegung an, die sich stark am Punk orientierte. Spätestens hier waren Aggression und Rebellion nicht mehr nur Männern vorbehalten.

Obwohl sich Grimm in diesem Kapitel für die Ablehnung jeglicher Utopie beim Punk warm schreibt, bedauert sie am Schluß dann doch das Fehlen einer Neudefinition von Männlichkeit. Dieses Resultat fällt leider ein bißchen gegen die sehr guten, detaillierten Analysen von Männlichkeitsbildern am Anfang des Buches ab. So läßt Grimms vielleicht gerade deshalb sehr anregende Arbeit am Ende folgende Fragen offen: Bedurfte es nicht in der Musik nach Punk ebensoviel weiblichen Engagements wie in der nach Rap, um gehört zu werden? Und kann man einem Song wirklich vorwerfen, daß er nur kaputtmacht, was er kennt, ohne auf das zu hoffen, was er nicht kennt?

Den Normalzustand Mann zu untersuchen, bevor man über eine bessere weibliche Welt nachdenkt, war das Ziel Stephanie Grimms – insofern landet sie mit ihrem Wunsch nach alternativer Männlichkeit mit einem Fuß in ihrer eigenen Falle. Aber natürlich ist die Lust der Autorin, daß endlich mal was passiert, auch sympathisch. Wer wünscht ihn sich nicht, den neuen Mann, der sich auch zu zweit noch frei fühlt? Susanne Messmer

Stephanie Grimm: „Die Repräsentation von Männlichkeit im Punk und Rap“. Stauffenberg 1998, 220 Seiten, 48 DM

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