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Die Stimme Ihres Vertrauens

Telefonservice gilt als Boombranche. Die neuen Länder buhlen um Investoren. Vor allem Frauen finden bei den neuen Call Centern Arbeit. Allerdings eine meist schlecht angesehene und bezahlte. Einblicke  ■ Von Sonja Zekri

Ein leises Plätschern aus unsichtbarer Quelle verteilt sich im Raum wie der Musikbrei in einem Supermarkt und schluckt Geräusche mit der Diskretion eines Perserteppichs. Obwohl im Sales-Bereich der „Allstate“-Versicherung vierzig Leute arbeiten – und das heißt bei einem Call Center eben: telefonieren – ist die Akustik überraschend klar.

„Guten-Tag-und-herzlich-willkommen-bei-Allstate-Direct-mein-Name-is t – Bettina-Weber-was-kann-ich-für-Sie- tun?“ Eintausenddreihundertmal hat die brünette 23jährige aus Berlin-Rudow diesen Spruch in den vergangenen zwei Monaten heruntergeschnurrt. Ihre Arbeitswelt ist so groß wie eine Wahlkabine, eine geräumige Zelle aus Schallschutzwänden, mit einem speziell entworfenen Computerschreibtisch, Telefon und Kopfhörer. Für die meisten Kunden soll Bettina Weber ein Auto versichern oder eine Versicherungsprämie ausrechnen. Ab und zu rufen Kinder an, die Langeweile haben, oder Männer, die Schweinereien loswerden wollen. Öde wird es nie. Nach einer perspektivlosen Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten im öffentlichen Dienst genießt TSR Weber – „Technical Service Representant“ – die amerikanisch organisierte Arbeit im Team: „Meine Eltern sagen, ich bin richtig aufgeblüht.“

Allstate, der zweitgrößte US-Versicherer, wickelt seinen gesamten Kundenverkehr in Deutschland über das telefonische Dienstleistungszentrum im brandenburgischen Teltow ab. Das Call Center liegt im „Techno Terrain Teltow“, einem jener blinkenden High-Tech- und Dienstleistungskomplexe, die in ostdeutschen Städten zwischen Altstadt, Platte und Baumarkt den Morgen der Informationsgesellschaft anbrechen lassen sollen – und oft noch leer stehen. Der mehrstöckige Würfel des Allstate Call Centern ist von hohen Mauern umgeben. Die Mitarbeiter nennen ihn „Alcatraz“.

Beata Räder aus Güterfelde neben Teltow arbeitet seit eineinhalb Jahren in „Alcatraz“. Anfang vergangenen Jahres verlor sie ihren Job als Versicherungsvertreterin. Das Finanzwirtschaftsstudium aus DDR-Zeiten war seit der Wende ohnehin wertlos. Zwei Monate war sie arbeitslos, aber die haben ihr gereicht. „Als Alleinstehende muß ich gucken, wo das Geld herkommt“, sagt die 33jährige. Nach fünfzig Bewerbungen, ein paar Vorstellungsgesprächen und einer dreimonatigen Qualifizierung zur „Call-Center-Agentin“ – finanziert vom Arbeitsamt Potsdam – hatte Beata Räder einen neuen Job.

Mehr als die Hälfte der zweihundert Call-Center-Agenten in Teltow sind Frauen. Bei Mannesmann-Mobilfunk im benachbarten Stahnsdorf sind es sogar neunzig Prozent. Insgesamt, schätzt Bettina Höfner, Leiterin Neue Medien im Deutschen Direkt Marketing Verband e.V. (DDV) in Wiesbaden, liegt die Frauenquote in den 1.500 deutschen Call Centers bei etwa sechzig Prozent. Frau und Telefon – eine glückliche Verbindung?

Bei dieser Frage greifen die meisten in die soziologische Grabbelkiste. Frauen hätten offenbar eine „bessere Ader, Dienstleistungen zu erbringen“, vermutet Hartmut Krüger, Referatsleiter der brandenburgischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Den meisten Frauen falle „die Fähigkeit zu kommunizieren und der Umgang mit Menschen“ leicht, schreibt das DGB-Frauenbüro in seinem neuesten Infobrief. Frauen, hört man aus Gewerkschaft, Wirtschaft und Politik, sind offener und hören geduldiger zu. Frauen telefonieren einfach besser.

„Soziale und kommunikative Fähigkeiten werden zwar verlangt“, kritisiert Christine Meier aus dem Multimediabüro der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, „sind aber systematisch unterbewertet, sowohl materiell, als auch im Ansehen.“ Noch immer blieben die einfachen und damit schlechter bezahlten Telefondienstleistungen vor allem Frauen vorbehalten. An den höher qualifizierten und besser dotierten technischen Hotlines – für Computer, Telefone, Faxe oder Handys – trifft man dagegen meist Männer. Dabei stammt die Mehrzahl der Call-Center- Jobs noch aus dem traditionell weiblichen Bereich des kaufmännischen Berufs. Sicher ist: Chancen auf anständige Bezahlung und eine Karriere im Call Center haben nur qualifizierte Frauen.

Wie Ute Bade. Vor der Wende leitete die schmale Mittvierzigerin aus Königs Wusterhausen ein Kollektiv von 37 Frauen bei der Polizei-Meldebehörde. Heute ist sie Abteilungsleiterin bei Allstate und froh über die gemischtgeschlechtliche Besetzung. Auf die Klischees von den weiblichen Telefontalenten reagiert sie gereizt: „Als ob Männer am Telefon nicht freundlich sein könnten!“ Gewiß sei es eine Fähigkeit, „mit nichts als der Stimme“ Vertrauen zu schaffen und ein Gesprächsklima, „als ob ich neben dem Anrufer auf dem Sofa sitze“. Doch diese Fertigkeit sei erlernbar – für Männer wie Frauen.

Die Telefon-Agentinnen sind gehalten, die Kunden freundlich, aber zügig zu bedienen. Bei Allstate dauert ein Gespräch im Schnitt sechs bis sieben Minuten. Das ist lange. Andernorts werden die Kunden in drei Minuten abgefertigt. Den Titel „Legebatterien“ tragen Call Center nicht umsonst. Bei Allstate gibt es einen Betriebsrat, Arbeitsverträge für alle und Tariflöhne zwischen 3.500 und 4.500 Mark für Männer und Frauen – aber kein Weihnachts- und Urlaubsgeld. Gearbeitet wird in Acht-Stunden-Schichten ohne Nachtarbeit. Noch ist der Sonntag in Deutschland tabu: Am häufigsten rufen die Kunden montags an.

Seit Service und Kundenorientierung zum Aushängeschild geworden sind, setzen immer mehr Unternehmen auf die schnelle und kompetente Beratung per Telefon und auf das Call Center als „Visitenkarte“. Das Ideal ist die totale Erreichbarkeit: Nachts einen Flug buchen, im Morgengrauen ein Computerprogramm installieren – anything goes. Auch Allstate will rund um die Uhr ansprechbar sein. Nächtliche Anrufe werden an andere Center der Republik umgeleitet.

Call Center gelten als Geheimwaffe gegen Arbeitslosigkeit. In Brandenburg entstanden in fünf Jahren 2.500 neue Jobs. Vierzig davon bei der „Taptel Call Center GmbH“ in Wittenberge, wo die Frauenarbeitslosigkeit bei fast 25 Prozent liegt. Vier von fünf Taptel-Angestellten hatten vorher keinen Job. Und nur drei der vierzig Telefonagenten, die heute auch die Telefonauskunft für die drei Berliner Flughäfen abwickeln, sind Männer. „In den neuen Ländern waren die Frauen immer berufstätig, hier ist das Bedürfnis zu arbeiten besonders groß“, vermutet Taptel- Geschäftsführer Andreas Buchelt.

Bundesweit arbeiten in Call Centern 130.000 Menschen, schätzt Bettina Höfner vom Deutschen Direktmarketing Verband. Allein bis 1998 rechnet sie mit 30.000 neuen Arbeitsplätzen. Die Länder buhlen um Anbieter. Die Staatskanzlei in Potsdam lockt Investoren mit dem Verweis auf „ein sauberes Hochdeutsch“ und die „sehr günstige Personalkostenstruktur im Vergleich zu den alten Bundesländern“. Jeden neuen Tele-Arbeitsplatz subventioniert der Staat indirekt mit rund 50.000 Mark, schätzt Krüger. Ein Industriearbeitsplatz kostet bis zu eine Million Mark.

Auch strukturschwache West-Länder wie das Saarland suchen ihr Heil im Service. Und Nordrhein-Westfalen hat mit der „Call Center Offensive“ ein Netzwerk aus Ministerien, Computerfirmen, Industrie- und Handelskammern, Banken und Call-Center-Betreibern ins Leben gerufen. Es herrsche „Goldgräberstimmung wie nach der Wende“, so Krüger.

An den Frauen von Pasewalk ist der Goldrausch allerdings vorbeigegangen. Seit drei Jahren telefonieren die Agentinnen der Firma Fastphone Telemarketing GmbH in der mecklenburgischen Kleinstadt – unter anderem für Greenpeace. Bei einem Bruttostundenlohn von 11 Mark ließ sich das Unternehmen weder zwei arbeitsfreie Tage in der Woche abringen noch Nachtarbeitszuschläge. Inzwischen wurde das Call Center von Pasewalk im DGB-“Schwarzbuch“ aktenkundig. Fehlende Tarife, keine Nachtarbeits- oder Wochenendzuschläge und oft katastrophale Arbeitsbedingungen tragen zum Schmuddelimage der Branche bei.

Große Summen geben viele Unternehmen dagegen für die Arbeitsüberwachung aus. Bei Allstate registriert eine große Leuchttafel die Zahl der Anrufer und ihre Wartezeit – wie das Börsenband den Dax. Das ist vergleichsweise milde. Daß die Vorgesetzten Kundengespräche mithören, daß der Supervisor die Dauer und Anzahl der Telefonate elektronisch kontrolliert, gilt als üblich. Siegfried Leittretter, Call-Center-Berater der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung, kann darüber nur den Kopf schütteln: „Die Unternehmen leisten sich einen absurden Kontrollaufwand, anstatt die Mitarbeiter durch anständige Bezahlung zu motivieren.“

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