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„In der Liga stimmt was nicht“

Nach dem gesamtdeutschen Uefa-Cup-Aus analysieren Bayer Leverkusens Verantwortliche Daum und Vossen realistisch die prekäre Situation des deutschen Fußballs  ■ Von Ronald Reng

Glasgow (taz) – 40 Minuten nach dem Schlußpfiff gingen einige Fußballer von Bayer 04 Leverkusen schon wieder das nächste Spiel an. In der letzten Reihe des Mannschaftsbusses beschäftigte das Ausscheiden im Europapokal gegen die Glasgow Rangers offenbar niemanden mehr, hier wurden die Karten für Poker oder Skat bereits ausgeteilt, als sich der Bus gerade auf den Weg vom Ibrox-Stadion zum Flughafen der Stadt machte.

Irgendwie hatte man sich den Anblick von enttäuschten Verlierern ja anders vorgestellt, aber so war es nun mal: Die eifrigen Kartenspieler waren das letzte, was vom deutschen Fußball in dieser Saison im Uefa-Cup zu sehen war. Mit einem 1:1, das das 1:2 aus dem Hinspiel nicht wettmachte, verabschiedete sich Leverkusen am Donnerstag von Europa; Aus in Runde zwei wie schon am Dienstag für Bremen und den VfB Stuttgart. Schalke hatte es bereits beim Einstiegstest erwischt.

Zum ersten Mal seit 31 Jahren beteiligt sich keine deutsche Mannschaft am Achtelfinale des Uefa-Cups. Daß der MSV Duisburg in Runde eins des Pokalsieger-Cups rausflog, rundet das Bild ab. „Ich will jetzt hier keine Katastrophenstimmung erzeugen“, sagte Leverkusens Trainer Christoph Daum, aber der ungewohnt frühe Abgesang der Deutschen sei „bezeichnend. Etwas stimmt nicht in der Bundesliga.“ Schmerzhaft bestätigte sich im kontinentalen Vergleich, was im nationalen Alltag offensichtlich ist: Es gibt derzeit nur eine deutsche Klubelf von Weltklasse, Bayern München. Der 1. FC Kaiserslautern mag zwar in der Champions League dank angenehmer Vorrundengegner und seiner fabelhaften kämpferischen Qualitäten das Viertelfinale erreichen. Doch zweifelt irgend jemand daran, daß ihm dann Gegner wie Real Madrid oder Dinamo Kiew die Grenzen weisen?

Eine Generation erfolgreicher deutscher Fußballer, angeführt von Lothar Matthäus und Jürgen Kohler, ist auf dem Rückzug und eine neue, ähnlich begabte noch nicht nachgerückt, das spürt auch die Nationalelf. Für die Bundesliga kommt erschwerend hinzu, daß hier viel zuwenig herausragende Gastarbeiter beschäftigt sind. Einzig Bixente Lizarazu, Giovane Elber und Samuel Kuffour, alle vom FC Bayern, gehören zu der Kategorie, die den Unterschied zwischen gut und sehr gut macht; Patrik Andersson (Mönchengladbach) und Leverkusens Zé Roberto muß man wohl noch dazuzählen, obwohl man es sich angesichts ihrer derzeitigen Leistungen kaum traut.

„Zweifellos, und da spreche ich für die ganze Liga, können wir bei den Ausländern in der Regel nicht die erste Wahl holen“, sagte Kurt Vossen, Vorsitzender von Bayers Fußballabteilung. „Sie kennen das ja, mit was für Beträgen da gehandelt wird“, in Italien, Spanien und Großbritannien. Der Vergleich mit den Rangers lieferte Vossen das passende Beispiel. „Ich dachte schon beim Hinspiel, mein Gott, bitte laß die schottisch spielen“, mit viel Kraft und wenig Kopf. Aber nichts war's, „die haben ja eine Europaauswahl“ mit Spielern aus sieben Ländern in der Elf inklusive dem Deutschen Jörg Albertz und einem Trainer, dem Holländer Dick Advocaat, der ihnen eine ordentliche Taktik verpaßte.

Über 80 Millionen Mark gaben die Rangers in dieser Saison allein für Ablösezahlungen aus. In der Bundesliga beginne erst „die Suche nach dem großen Geld, das die anderen schon haben“, sagt Vossen. Bei der Vermarktung der Vereine, von den Fernsehrechten bis zum Stadioncatering, hinke man hinterher. Andererseits ist die Bundesliga auch Opfer ihrer eigenen Vernunft: In Spanien oder Großbritannien geben viele Klubs auch großes Geld aus, das sie nicht haben. In Deutschland sind Ablösesummen auf einem bezahlbaren Niveau geblieben; Weltstars kriegt man dafür halt keine.

Dabei, das war die Ironie des Abends, war Bayers Abschiedsnummer im Uefa-Cup alles andere als ein Indiz für die Schwäche der Bundesliga. Wird den deutschen Fußballern – vor allem in Deutschland – nun ständig vorgeworfen, sie seien taktisch rückständig und unflexibel, so ließ Trainer Daum sein Team in Ibrox sämtliche Spielsysteme vorführen. Zunächst mit fünf Abwehrkräften, dann mit vier, schließlich mit drei, zwischendrin auch mal mit drei statt zwei Stürmern – es war eine eindrucksvolle Demonstration.

Das Mittelfeld beherrschten sie vollends. Albertz, bislang Rangers' bester Torschütze in dieser Saison, kam gar nicht zum Angreifen. Allein Bayers Zuspiele gerieten zu oft zu ungenau. Einen Fehlpaß von Außenverteidiger Jan Heintze nahm Rangers' Finne Jonatan Johansson auf und ließ das 1:0 folgen (56.). Ulf Kirstens Ausgleichstor zwölf Minuten vor Abpfiff leitete eine vehemente Schlußoffensive ein, die drei besten Gelegenheiten jedoch hatte sein Sturmpartner Erik Meijer schon in der ersten Viertelstunde verpraßt. „Der Meijer muß es machen“, sagte Manager Reiner Calmund.

Am Ende des Abends flatterte unter dem Jubel der 50.000 Zuschauer dann doch noch eine deutsche Fahne auf der Haupttribüne. Ein Mißverständnis? Auf den zweiten Blick ließ sich zwischen Schwarz und Gold auf dem Rot die Aufschrift erkennen: ALBERTZ.

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