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Wunsch nach Gemeinheit

■ Actionkino mit dummen Kleinkriminellen, einer bösen Story und einigen Komplikationen: Kiefer Sutherlands Film „Ort der Wahrheit“

Der Ort der Wahrheit ist ein kleines Kaff in New Mexico. In den USA liebt man solche fundamentalistischen Namensgebungen: „Truth or Consequences“, wie der zweite Spielfilm des Schauspielers Kiefer Sutherland heißt. Genau besehen ist aber die Stunde der Wahrheit – wie der Titel besser übersetzt wäre – schon längst gekommen, als die vier Kleinkriminellen, ihre Geiseln, die Mafia und die Polizei dort zum finalen Showdown eintreffen.

Raymond Lembecke (Vincent Gallo) und Addy Monroe (Kim Dickens) sind ein Liebespaar. Warum, das ist leicht zu erklären. Raymond ist ein lieber Typ und Addy ein nettes Mädchen. Das paßt. Raymond und Curtis Freley (Kiefer Sutherland) sind ein Freundespaar. Warum, das ist schon schwerer zu erklären. Denn Curtis ist ein ausgesprochen dummer und bösartiger Typ. Aber vielleicht muß ein lieber Typ wie Raymond von einem wie Curtis fasziniert sein; zumal er ihn im Knast kennenlernte. Und allzu helle ist Raymond selbst nicht. Sonst würde er sich – kaum freigekommen – nicht ausgerechnet mit Curtis zusammentun, um das Lager des Dealers Eddie Grillo auszuräumen. Leider gibt es da ein paar Komplikationen, die zu einigen Toten führen. Deshalb die Flucht nach Mexiko.

Curtis und Marcus Weans (Mykelti Williams) sind ein weiteres Freundespaar. Warum, erklärt sich zu Beginn der Flucht: Marcus ist ein auf Curtis angesetzter Undercoveragent. Ob diese Idee Plausibilität besitzt, darf mit Recht bezweifelt werden. Warum sollte ein verdeckter Ermittler ausgerechnet auf einen psychopathischen Kleinkriminellen wie Curtis angesetzt werden? Sicher, er ist extrem gefährlich, aber die Polizei ist schließlich nicht die Heilsarmee. Sie will nicht Schaden abwenden, woran sie ihre Freude haben kann. Um die aber zu haben, müßte sie sich schon um einen kümmern, der wirklich im Geschäft ist. Doch doof wie sie sind, wollen Curtis und Raymond den erbeuteten Stoff in Las Vegas just an den Mafioso verticken, dem der Stoff längst gehört. Das Resultat dieses Deals sind weitere Tote.

Wenn es einen Moment der Wahrheit in Mirmans Drehbuch gibt, dann läßt er sich bei Gordon Jacobson (Kevin Pollak) ausmachen. Er und Donna Moreland (Grace Phillips) sind das Spießerpaar, das von dem kriminellen Kleeblatt nach ihrem fehlgeschlagenen Coup als Geiseln genommen wird. In Siegfried Kracauers „Die Angestellten“ könnte man sich noch immer über Jacobsons Befindlichkeit informieren. Unsicher über seinen Status, unsicher über seine Wünsche und extrem angepaßt, ist er der große Romantiker der Rebellion. Kurz, er begrüßt die schlimme Situation schon deshalb, weil er sich hier endlich zu rauchen getraut. Es ist keineswegs der Wunsch nach Freiheit, sondern der Wunsch nach Rücksichtslosigkeit, der in ihm wütet. Der Wunsch nach Gemeinheit, nach Männlichkeit, so wie er sie versteht. Er ist der wahre Kumpel von Curtis, dessen Sätze er zum Entsetzen seiner Freundin Donna in kürzester Zeit nachplappert. Gordon Jacobson ist eine großartige Figur.

Er ist die neue Figur in Sutherlands Film, der die Ballade vom Highway to Hell von Utah bis New Mexico zum tausendundersten Mal durchspielt. In Gordon finden sich all jene Männer wieder, die, wie Fernando Pessoa sagt, morgens mit einem großen Ziel aus dem Haus gehen, „nämlich rechtzeitig ins Büro zu kommen“ – um sich dann abends im Kino in den Glauben zu retten, Gewalt sei der Ort der Wahrheit, die Befreiung jenseits aller Ideologie. Vielleicht ist Sutherlands Bild, wie Raymond am Ende die von einem Querschläger tödlich getroffene Addy in seine Arme bettet, um in den Kreis der feuernden Kombattanten zustolpern, ein bißchen pathetisch, weil eine Pietà. Aber diese Einstellung sagt eben, wofür der ganze Quatsch gut ist.

Nein, Sutherland hat natürlich keine moralische Fabel inszeniert, sondern ein Stück weiteres Actionkino, dessen Spannung in der präzise getimeten Eskalation der bösen Story liegt. Routiniert spielt er mit den bekannten Elementen seines Plots, dem Wissensvorsprung des Zuschauers, dem menschlichen Pulverfaß Curtis, der Paranoia der Flüchtenden, ihrem Umstelltsein von Polizei und Mafia, der Gruppendynamik von Geiseln und Geiselnehmern und den üblichen Überraschungen, die der Zufall bereithält, um eine solche Höllenfahrt noch ein wenig komplizierter zu machen. Weil die Geschichte aber einen neuen Dreh haben sollte, ließen sich Sutherland und Brad Mirman eben auf das Psychogramm kriminellen Stumpfsinns ein, und so ist „Truth or Consequences“ am Ende komplexeres Kino, als zu erwarten war. Brigitte Werneburg

„Ort der Wahrheit“. Regie: Kiefer Sutherland. Mit Vincent Gallo, Kiefer Sutherland, Kim Dickens u.a. USA 1998, 101 Minuten

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