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KommentarGefährliche Lücke

■ Warum die Bündnisgrünen eine selbstbewußte Parteispitze brauchen

Die Berliner Fraktionschefin Renate Künast hat auf eine Kandidatur für einen der beiden grünen Sprecherposten verzichtet. Ihr gestriger Entschluß kommt zur rechten Zeit, denn er zwingt die Partei zum Nachdenken. Was die Grünen dabei entdecken werden, ist kaum ermutigend. Ihre vertrackte Lage spiegelt wohl am besten das Bild des reisenden Außenministers wider. Während Joschka Fischer nach Warschau, Paris und Washington fliegt, sitzt die grüne Basis zu Hause vor dem Bildschirm. Noch staunen sie, noch erfreuen sich viele auch an dem Gefühl, ideell irgendwie an der Macht beteiligt zu sein. In Wirklichkeit aber sind die grünen Matadore schon dabei, sich im Sauseschritt von ihnen zu entfernen. Den Grünen könnte drohen, was nach Mitterrands Machtübernahme in Frankreich 1981 eintrat: Kaum Präsident, stellte Mitterrand die Sozialistische Partei ins Abseits. Sie hatte ihren Zweck erfüllt.

Die Funktionsfrage wird sich bald auch für die Grüne Partei stellen. Die Hierarchie ist bereits erkennbar: Die Minister brauchen in erster Linie die Fraktion, sie ist der Angelpunkt für den Erfolg der Regierung. Dann kommen die Medien, deren Wohlwollen das Bild in der Öffentlichkeit bestimmen wird. Am Ende rangiert die Partei. Die Minister als Köche, die Basis als Kellner – das wird nicht funktionieren.

Denn zwischen Ministern, Fraktion und Basis klafft eine Lücke, die sich mit jedem Tag Regierungstätigkeit vergrößert. Enttäuschungen werden nicht lange auf sich warten lassen. Deshalb ist eine selbstbewußte Parteiführung vonnöten. Eine, die zur einen wie zur anderen Seite hin moderiert und notfalls die Minister wieder einfängt, wenn sie sich zu weit absetzen.

Nun bringt aber es aber das Gefüge der Grünen mit sich, daß der Posten des Parteisprechers unattraktiv war und ist. Er schwebt zwischen den relativ autonomen Landesverbänden und der Bonner Fraktion; seine Rolle ist nur so stark wie die Person, die sie ausfüllt. Jürgen Trittin war als Sprecher präsent, weil er sich medial als Antityp zu Fischer in Szene setzte und linke Befindlichkeiten zu artikulieren wußte. Gunda Röstel mußte an seiner Seite blaß bleiben.

Der Verzicht von Renate Künast könnte im besten Fall die Debatte um die künftige Rolle der Parteispitze entfachen. Im schlechtesten Fall beschränkt man sich einfach auf eine Kandidatensuche. Severin Weiland

Bericht Seite 4

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