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Die Mauer steht noch im Grundbuch

■ Ehemalige Eigentümer von Mauergrundstücken haben gestern deren Rückgabe verlangt. Sie gingen als Grenzgebiet ins Eigentum des Bundes über. Enteignete setzen auf Rot-Grün in Bonn

Neun Jahre nach dem Mauerfall haben gestern am Checkpoint Charlie ehemalige Eigentümer von Mauergrundstücken deren Rückgabe verlangt. Per Gesetz habe die Bundesrepublik „praktisch den Mauerbau und damit auch die Enteignungen an der Mauer legitimiert“, klagt Joachim Hildebrandt. Dem 60jährige Handelsvertreter ist das Herz übervoll. Er ist einer der Vorsitzenden der Interessengemeinschaft ehemaliger Grundstücksbesitzer auf dem Mauerstreifen.

Nach der Wende fielen die rund 1.500 Grundstücke an der Mauer an die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin der DDR. Seitdem kämpft der Verein um das alte Eigentum. Das sogenannte Mauergesetz aus dem Jahre 1996, so Hildebrandt, bestätige doch die Meinung Walter Ulbrichts, daß nämlich der Todesstreifen als Grenze dem eigenständigen Staat DDR gehöre. Das sei aber nicht mit dem Viermächtestatus Berlins vereinbar, durch den die Mauer nicht als Staatsgrenze anerkannt worden sei. „Das Gesetz beleidigt die Alliierten und verstößt gegen das Völkerrecht“, so Hildebrandt.

Den Altbesitzern wurde angeboten, die Grundstücke für ein Viertel des Wertes zurückzukaufen. Klaus Scheuermann von der Interessengemeinschaft kann darüber nur bitter lachen. „Unser Grundstück in der Mühlenstraße in Friedrichshain war schon seit 1885 in Familienbesitz“, berichtet er. „Warum soll ich mein eigenes Land zurückkaufen?“

„Uns geht es einfach um Gerechtigkeit“, sagt Hildebrandt. „Unsere ehemaligen Nachbarn in Treptow haben längst alles wiederbekommen. Ebenso die Leute aus dem Umland, die geflohen sind. Aber wir und die Menschen, die in der Bernauer Straße aus dem Fenster gesprungen sind, die nicht.“

Eine Klage der Interessengemeinschaft gegen das Mauergesetz vor dem Bundesverfassungsgericht läuft noch. Unterstützung erhofft man sich vor allem von der neuen Regierung in Bonn. Auch wenn im Koalitionsvertrag nur allgemein steht, daß die „Entschädigungen und Rehabilitationen von Opfern des DDR-Unrechtes verbessert“ werden sollen. Joachim Hildebrandt zitiert lieber aus den Beschlüssen des SPD–Parteitages von 1996: Frühere Eigentümer, heißt es da, sollen nicht schlechter gestellt werden als Menschen, die ihr Eigentum aufgrund ihrer Flucht aus der DDR verloren hätten.

Durch Chemikalien sind viele der Mauergrundstücke verseucht, denn auf dem Todesstreifen durfte nichts wachsen. Joachim Hildebrandt würde trotzdem sofort wieder mit seiner Mutter nach Treptow ziehen, bekäme er das Grundstück zurück. Seine Mutter ist mit 89 Jahren das älteste Mitglied in der Interessengemeinschaft. „Hoffentlich erlebt sie die Rückgabe überhaupt noch“, sagt Hildebrandt. Denn viele der alten Besitzer von Mauergrundstücken sind bereits gestorben. Ocke Bandixen

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