Alte Jugendliebe auf Tournee

Problemlos an den Popstar andocken: Nach siebzehn Jahren sind Blondie mit Debbie Harry wieder auf der Bühne zu besichtigen. Schön wie damals, lässig wie einst  ■ Von Heike Blümner

An richtig große Popstars läßt sich nicht nur aus einer Generation heraus problemlos andocken. Für nach 1970 Geborene wie mich war Blondie die Musik, zu der man mit der Freundin in Turnanzügen und Gymnastikschuhen durchs Wohnzimmer hüpfte und „Discotänze“ zu „Atomic“ übte. Blondie war gewissermaßen erweitertes Kinderliedgut, Debbie Harry, ähnlich wie übrigens auch Kim Wilde, unerreichbar, fast schon beängstigend cool. Nur, daß das Wörtchen cool in unserem Wortschatz nicht vorkam. Es war nur so eine Ahnung.

Die Gewißheit kam nach den Gymnastikanzügen und mit den Jungs: Blondie, das sei zwar Pop, hieße aber in Wirklichkeit New Wave und davor Punk, und außerdem, so erfuhren wir, gab's noch diesen total krassen Laden CBGBs, und den ersten HipHop/White-Pop-Crossover hätten wir Blondie auch zu verdanken. Wie wahr. Genauso wahr wie die Tatsache, daß in Wirklichkeit alle Jungs in Debbie Harry verliebt waren, was sich praktischerweise durch musikexpertenmäßiges Gerede ein wenig vertuschen ließ. Bis jetzt.

Denn wie das ist, wenn eine alte Jugendliebe auf Tournee geht, konnte man auf der ersten Blondie-Tour seit siebzehn Jahren besichtigen. Blondie ist tatsächlich eine der wenigen Bands, die lukrativen Recycling-Tourneen und „Wetten daß...?“-Auftritten widerstanden haben. Ein bißchen beängstigend war es von daher schon: Bringen sie es? Können sich Blondie nach siebzehn Jahren Bühnenabstinenz mehr als die Nostalgie- und Wohlwollenstrophäe erspielen? Mit einer „Greatest Hits Tour“? Und schützt die Tatsache, daß sie eine weibliche Popikone als Frontfrau haben, vor der großen Alte-Säcke-spielen-ihre-alten- Hits-für-alte-Säcke-Gefahr?

Die Stimmung in der langweiligen Columbiahalle ist fast schon ein wenig feierlich zu Beginn von Blondies Berlinkonzert am vergangenen Samstag. Die meisten haben sich hübsch gemacht, wenigstens auf den zweiten Blick. Denn, und das ist vom ersten Moment an klar, als Blondie die Bühne betreten: Es geht darum, Debbie Harry zu gefallen, die der unangefochtene Mittelpunkt der Show ist. Blondie wieder auf der Bühne – in Berlin ist das kein Firlefanzauftritt: schwarzer Hintergrund, einfache Strahler, fünf Musiker, ebenfalls in Schwarz ... und Debbie Harry ganz in Rot. Roter Minirock, rotes T-Shirt und strähnig weißblond bis goldblondes Haar. Schön wie damals, lässig wie einst. Es folgt Hit auf Hit auf Hit.

Und davon gibt es ja genug: „Call Me“, „Denise“, „Rapture“, „Rip Her To Shreds“. Haben die eigentlich überhaupt einen Song, den niemand kennt? Das dankbare Publikum wiegt sich im Takt, ganz vorn hüpft ein zahmer Moshpit. Debbie Harry schwingt lasziv die Hüften, die Band scheint teilweise selbst ein wenig überrascht darüber zu sein, wie souverän und unpeinlich sie das alte Repertoire noch runterspielen können.

Alles ganz echt: Debbie Harry beherrscht die klirrenden Höhen und auch den montonen Rap, so als hätte sie die letzten siebzehn Jahre für diesen Abend geübt. Die Band legt sich mit ernsthaftem Rockengagement ins Zeug, doch es kommt nie zu ausuferndem Geniedel. Schließlich stammt man noch aus einer Zeit, in der Songs präzise sitzen mußten, damit man direkt den nächsten hinterherjagen kann, was sehr publikumsfreundlich ist. Spätestens bei „One Day Or Another“ kann man den Männern im Publikum die weichen Knie und die leuchtenden Augen ansehen. Wir haben es mit dem umgekehrten Boygroup-Phänomen zu tun: Sie singt nur für mich! Es fliegen Unterhosen auf die Bühne, Menschen klettern hinterher und werden von den Bodyguards weggerissen. Und noch mal: „The Tide Is High“ und „Heart Of Glass“. Der Drummer schmeißt andauernd seine Drumsticks in die Luft und fängt sie wieder auf, Debbie Harry schüttelt ihr Haar. Irgendwann zu einer Zeit, als nach 1970 geborene Menschen im Wohnzimmer der Eltern ihre ersten Tanzschritte machten, waren das alles mal subversive Gesten. Im Fall von Blondie sieht es heute noch würdevoll aus.