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Der Traum vom antifaschistischen Heimatland

■ Nach dem Krieg war Dresdens Jüdische Gemeinde nahezu ausgerottet, in der DDR führte sie ein Nischendasein, heute sorgen vor allem Juden aus Osteuropa für Nachwuchs

Ausgerechnet Bomben retteten sein Leben – die Bomben auf Dresden. „Obwohl“, sagt Heinz-Joachim Aris, „das schon ein wenig spekulativ ist.“ Schließlich hätte es ja auch ein paar Menschen gegeben, die aus den Vernichtungslagern zurückgekommen sind. Aris ist einer von den 60 jüdischen Dresdnern, die zuerst die Nazis und dann die Bomben überlebten.

Als Heinz-Joachim Aris 1934 geboren wird, leben noch knapp 6.000 Juden in der sächsischen Hauptstadt. Am 13. Februar 1945 sind nur wenige hundert übrig. Und die erhalten an diesem Tag ihren Marschbefehl: Transport am 16. Februar, Sammeln in der Frühe am Hauptbahnhof. Einige Juden – unter ihnen Victor Klemperer – müssen die Gestapo-Befehle unter den jüdischen Familien verteilen.

Auch in Leipzig und Chemnitz werden solche Befehle ausgegeben. Adolf Hitlers Vision sehen die Nationalsozialisten im Südosten Deutschlands als greifbare Realität vor sich – ein „judenfreies“ Sachsen. Aus den beiden westsächsischen Städten gehen am 14. und 15. Februar Transporte in deutsche Vernichtungslager. Nach Dresden kommen britische Bomber. Doch auch das nützt nur wenigen Juden: Die meisten von ihnen sind in sogenannten „Judenhäusern“ in Dresdens Innenstadt zusammengepfercht – unter den Bombenangriffen krepieren sie jämmerlich.

Der elfjährige Aris hat Glück. „Wir waren in der Nacht zum 14. Februar etwas außerhalb, bei der Großmutter.“ Im allgemeinen Chaos, das jetzt auf den Feuersturm folgte, gelang es der Familie unterzutauchen. „Ein guter Freund besorgte uns sogenannte Ausgebombten-Ausweise. Jetzt hießen wir Müller.“

Nachgedacht, ob man nach alledem auswandern solle, habe seine Familie nicht besonders. „Hier begann doch jetzt etwas Neues. Ein antifaschistisches Heimatland“, sagt Aris. Die 70 Juden, die nun in Dresden leben, bauen bis 1950 eine Totenhalle auf dem Johannstädter Friedhof als provisorische Synagoge um. Noch heute versammelt sich die Gemeinde hier zum Gottesdienst.

Ein Nischendasein habe seine Gemeinde in der DDR geführt, sagt Aris, „also so, wie die evangelische oder katholische Kirche auch“. Etwa 400 Juden sind in der DDR in Gemeinden organisiert. Die Dresdner ist nach Ostberlin (200 Mitglieder) die zweitgrößte Gemeinde. An der Ostsee unterhalten die Juden ein eigenes Kinderferienlager, der Synogalchor bringt es zu Ruhm weit über die Landesgrenzen hinaus. Allerdings gibt es wesentlich mehr Juden in der DDR, als die Gemeinden verzeichnen. „Bei einigen spielte das sozialistische Leben eine größere Rolle als der Glaube“, so Aris.

Die Entwicklung der Gemeinden war klar rückläufig. 1989 hatte die Dresdner zum Beispiel gerade noch ein Kind in ihren Reihen, fast die Hälfte ist hingegen über 70 Jahre alt. „Da ist der Zuzug von Juden aus den GUS-Staaten ein richtiger Jungbrunnen für uns.“

Mittlerweile leben in Sachsen wieder fast siebenhundert Juden, knapp 200 davon in Dresden. Seit Januar dieses Jahres gibt es einen Landesrabbiner, eine aus Israel stammende Religionslehrerin tourt durch die drei Gemeinden in Chemnitz, Leipzig und Dresden. Es gibt wieder Jugendcamps mit Jugendlichen, Elternabende mit Eltern, weltweite Kontakte und theologische Dispute.

Aris hat inzwischen das Amt des Gemeinde-Geschäftsführers von seinem Vater übernommen. „Sehen Sie, wir brauchen die neue Synagoge einfach.“ Weil wir jetzt in einer Demokratie leben, um nur einen Grund zu nennen. „In der Diktatur gab es praktisch keinen offenen Antisemitismus“, sagt Aris. Wenn früher jemand ein jüdisches Grab beschmiert hätte, sei die Schmiererei schon nach einer halben Stunde entfernt, der Täter wenig später ermittelt gewesen. Weil das heute alles nicht mehr so einfach sei, „sind Synagoge und Gemeindezentrum beispielsweise als Begegnungsstätten verschiedener Glaubensrichtungen so eminent wichtig für uns“. Die Synagoge als Verständigungszentrale, als architektonisches Alltagssymbol: Seht her, auch Juden sind Dresdner.

Daß bei diesen Dresdnern viel Russisch gesprochen wird, sorgt selten für Verständigungsprobleme. Der Vorsitzende etwa hatte fünf Jahre lang Gelegenheit, die Sprache zu lernen – von den russischen Mitgefangenen im KZ.

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