: „Nichts ist vergessen“
■ Tausende zogen beim „Weg des Gedenkens“ vom Wittenbergplatz zum Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße, um an die Pogromnacht am 9. November 1938 zu erinnern
Mit einem Schweigemarsch haben gestern abend mehrere tausend Berliner der Opfer der Pogromnacht vor sechzig Jahren gedacht. Erstmals hatten neben der Jüdischen Gemeinde auch alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses dazu aufgerufen. Der „Weg des Gedenkens“ begann bei strömendem Regen auf dem Wittenbergplatz und endete mit einer Abschlußkundgebung am Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße.
Teilnehmer jeglichen Alters zogen gedrückt und betroffen durch die Stadt, kaum jemand sprach. Einige hatten Kerzen dabei, andere trugen Transparente mit Aufschriften wie „Nichts ist vergessen“ oder „Nie wieder Reichspogromnacht“. Ein Schweigemarsch sei die angemessene Form für das Andenken an die Toten, sagte ein Teilnehmer.
„Wir versprechen, nichts zu vergessen“, sagte Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) auf der Abschlußkundgebung. „Nichts ist gefährlicher als die Gleichgültigkeit“, erklärte Haase. „Mit unserem gemeinsamen Weg des Schweigens haben wir ein hoffnungsvolles Zeichen für unsere gemeinsame Zukunft, für Aussöhnung und Toleranz gesetzt.“ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, sagt, Primo Levis Verdikt „Es ist geschehen, und also kann es wieder geschehen“ dürfe sich nicht erfüllen.
Aus Anlaß des Jahrestags war die Gedenkstele mit den Namen der Konzentrationslager vom Lichthof im Inneren des Gemeindezentrums an die Straßenseite versetzt worden. Ein Mädchenchor sang das Lied „Unser Schtetl brennt“. Auf der Veranstaltung wurden die Namen der früheren Bewohner aus der Fasenenstraße verlesen.
In einem Gedenkgottesdienst in der Sophienkirche beklagte der Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, die Mitschuld der Christen an den Judenverfolgungen im Dritten Reich. Christen hätten die Pflicht, die Schuld zu benennen am Tod der schwächsten und wehrlosesten Brüder und Schwestern Jesu, wie Dietrich Bonhoeffer sich ausgedrückt habe. „Denn er wußte: Jesus war Jude.“ Heute gelte es wieder, wachsam zu sein, bevor Synagogen oder Asylantenheime brennen.
In der Nacht zum Montag war das jüdische Mahnmal auf der Putlitzbrücke in Moabit von Unbekannten geschändet worden. Wie ein Polizeisprecher bestätigte, wurden drei hakenkreuzähnliche Zeichen in die Stahlplatte geritzt, die an die massenhafte Deportation Berliner Juden in die Vernichtungslager erinnert. Der Staatsschutz ermittele. taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen