Die unmöblierte Frau

■ Die Städtische Galerie im Buntentor erinnert an die Bremer Malerin Hebe Sosa und an die Toten der Solidarnosc-Zeit

Wer gerne in aller Ruhe der Nebulosität seines Zigarettenrauchs hinterherstiert oder -siniert, der wird die Bilder Hebe Sosas lieben. Wer dann vielleicht auch noch bei der sanften Verflüchtigung eines kleinen Rauchkringels in der großen, gefräßigen Welt über seine letzten Lebensjahre nachdenkt, der, ja der ist erstens zu beglückwünschen; und zweitens wird er ganz sicher eines der Bilder der Verkaufsausstellung erwerben. Noch bessere Rezeptionsvoraussetzungen als Zigarettenraucher aber hätten indianische Rauchzeichenleser. Doch die gibt es in Bremen nicht. Schade. Denn Hebe Sosa war Bremerin; Neubremerin. 1965 wanderte die Argentinierin mit ihrem Mann Evaristo nach Freiburg aus und zog 1968 nach Bremen. Dort starb sie 1988 an Krebs.

Diffuse Nebelschwaden schweifen durch ihre Bilder. Und manchmal sind sie so diffus, daß es sich genauso gut um Lichtfelder handeln könnte. Die Textur läßt sich jedenfalls nur mit Gotthard Graubners wolkigen Monochromen vergleichen, vielleicht auch mit Tarkowskis „Stalker“ oder einer smoothen Bluesstimme.

Unendlich viele Leute stellten sich ein bei der Vernissage . Und nicht wenige Köpfe hingen neugierig über einer Vitrine mit altem Katalogmaterial. „An dieses Bild kann ich mich noch erinnern. An das da auch“, dämmerte es einigen – und dabei deuteten sie auf ein Liebespaar, einen Akt oder einen vereinsamten weiblichen Rücken. Hebe Sosa muß in Bremen eine Institution gewesen sein. 1983 war sie Gründungsmitglied des Künstlerinnenvereins GEDOK, Mitglied des Berufsverbands Bildender Künstler war sie sowieso.

In den letzten Lebensjahren handeln Sosas Bilder nicht mehr von Liebe und Einsamkeit, sondern eher von einer transzendierten Liebe zum Raum. Und zwar zum psychothrillenden Hitchcockraum. Oft gibt es das bedrohliche Eck, um das der Betrachter nicht herumsehen kann: wie geschaffen für potentielle Mörder. Oder der Boden hat ein Loch: Wie schnell wird man da hineingeschubst. Manchmal schürt eine dunkle Tür Angst. Eine seltsame, sinnlose Trennwand scheint aus dem Bild herausspringen zu wollen.

Wenn Escher die Architektur einsetzte, um unsere Täuschbarkeit zu schmunzeln, wenn Piranesi Treppenlabyrinthe in Verliesen konstruierte, um existenzielle Unfreiheit zu versinnbildlichen, dann zeigen Sosas lichtnebeldurchfluteten, unmöblierten Räume vielleicht die Verschachteltheit aller Iche. Dem Betrachter gönnen sie Durch- und Seitenblicke, Überblick aber nie.

Die Farbwelt jedes einzelnen Bildes beschränkt sich grissailleartig auf Schwarz, Weiß und eine weitere Farbe. Auch die ist natürlich diffus, nicht rot, nicht blau, sondern ocker oder sumpfgrasfarben. Der enge Farbkosmos verstärkt die klaustrophobische Wirkung mancher Bilder. Aber wenn auf einem schwerblütigen Lila noch ein Hauch Gelb gegossen ist, wirkt das fast wie ein Lichtglimmern.

Eine Etage tiefer baumeln die Beine eines Gehenkten im gesitteten Fabrikambiente der Städtischen Galerie. Echte Roheit trifft auf Designroheit. Auf Initiative der Polnisch-Deutschen Gesellschaft zeigt der Maler Edward Dwurnik Denkmäler für Erwürgte, Erschlagene, Gehenkte mit konkreten Namen und Todesdaten. Natürlich erfährt man nichts über politische Hintergründe oder Lebensgeschichte. Das tut man aber auf einem Friedhof auch nicht. Und so wachsen Grabblumen fröhlich auf Dwurniks Bilder. Nur manche lassen die Köpfe hängen. B.Kern

Bis 29. November