: Keine „KundInnen“
Menschen, die Monat für Monat stundenlang unter menschenunwürdigen Bedingungen Schlange stehen und von einer Behörde abgefertigt werden, deren Repräsentanten oft auch nichts anderes im Kopf haben, als sie mit jedem erdenklichen bürokratischen und juristischen Trick „freiheitsentziehenden und aufenthaltsbeendenden“ Maßnahmen unter „optimaler Ausnutzung der Haftkapazitäten“ zu unterziehen (...), sind keine KundInnen. Sie sind Opfer. Was mit ihnen geschieht, ist keine Kundenbetreuung, sondern eine rot-grüne Schweinerei.
Auch Frauen, die in ihren Herkunftsländern sexuell mißhandelt wurden, sind keine „Kundinnen“. Es sind Frauen, die aufgrund einer in diesem Lande oft frauenfeindlich durchgeführten Anhörungspraxis sich zu ihrem Fall anfangs nicht äußern können und deren spätere Aussagen als „gesteigertes Vorbringen“ abgetan werden. Oder – falls sie sich doch von Anfang an im geforderten peinlichst genauen Detail äußern – , alsbald erfahren müssen, daß Vergewaltigung „nicht staatlich“ und daher „asyl-irrelevant“ ist.
Deshalb müssen sie jahrelang vor einer Behörde erscheinen, die oft nichts anderes im Kopf hat, als sie auf schnellstem Weg in die Länder ihrer Peiniger zurückzuschicken. Diese Frauen sind keine Kundinnen, sondern Opfer institutionell fortgesetzter sexueller Mißachtung und Mißhandlung. Wir sollten uns deshalb davor hüten, durch solchen Mißbrauch der Sprache die Opfer zu diffamieren und die Logik der institutionalisierten Flüchtlingsfeindlichkeit zu verniedlichen. Sonst laufen wir Gefahr, selbst MittäterInnen zu werden.
Jerry Hodges (jahrelang ehrenamtlicher Flüchtlingsbetreuer)
Betr.: „Vor den Kopf geschlagen“, taz hamburg vom 31.10.98 und „Das achte Gebot“, taz Hamburg vom 2.11.98
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