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KommentarBiedere Revolte

■ Warum Hamburgs Ärzten Protestkultur und konkrete Forderungen fehlen

Der ordentlich behangene Garderobenständer vor dem Saal sagte mehr aus als der griffigste Slogan auf den Transparenten. Für ihren Protest wählten die Hamburger Ärzte gestern die privateste Form des öffentlichen Widerstands: einen biederen Versammlungssaal im Ärztehaus, den arzt nicht im Mantel betritt, und in dem man seinen Unmut statt via Mega- über's Mikrophon kundtut.

Ein merkwürdiges Verständnis von Revolte – so merkwürdig wie der Blick, mit dem so viele Ärzte durchs Leben gehen. Denn daß eine exzellente Ausbildung kein gesichertes Einkommen mehr garantiert, ist keine Boshaftigkeit ihnen gegenüber, sondern ein Schicksal, mit dem sich Tausende abfinden müssen. Wie aber sollten die Mediziner davon erfahren haben, die ob ihrer 70-Stunden-Woche nicht dazu kommen, ihre Praxen zu verlassen?

Zwar ist die Wut auf eine Politik, die kranke Menschen in Punktsystemen bewertet, berechtigt. Nur: Die Forderung nach mehr Geld allein ist kein Ausweg. Denn dazu müßten entweder die Patienten höhere Kassenbeiträge zahlen. Das käme bei der Bevölkerung schlecht an. Oder die Pharmaindustrie müßte Medikamente billiger verkaufen. Das wäre begrüßenswert, doch haben die Firmen dazu keine Veranlassung.

Die dritte Möglichkeit ist eine politisch gewollte Umverteilung des Geldes im Haushalt. Die ist möglich. Allerdings bedarf es dazu erheblichen öffentlichen Drucks. Vielleicht sollten die Ärzte überlegen, beim nächsten Mal lieber ihre Mäntel anzuziehen und auf die Straße zu gehen. Heike Haarhoff

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