: Tatvorwurf: Hilfe zum Asylverfahren
Vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) müssen sich ab heute heute Tamilen aus Berlin als Mitglieder einer internationalen Schleuserbande angeklagt. Sie gaben bereits eingereisten Landsleuten Essen und Unterkunft ■ Von Marina Mai
Heute beginnt am Landgericht Frankfurt (Oder) einer der wohl umfangreichsten Schleuserprozesse. Vier Tamilen, darunter drei aus Berlin, wird vorgeworfen, in zehn Fällen Landsleuten zum Asylverfahren in der Bundesrepublik verholfen zu haben. Ein 44jähriger arbeitsloser Koch aus Wedding, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, sein 41jähriger Schwager und zwei Freunde der Familie, einer davon aus dem westfälischen Münster, sollen als Mitglieder einer international agierenden Schleuserbande in mindestens zehn Fällen Landsleute aus Sri Lanka in die Bundesrepublik gewerbsmäßig eingeschleust zu haben.
Bundesgrenzschutz (BGS) und Staatsanwaltschaft sehen in den Männern eine der Speerspitzen des organisierten Verbrechens. Als wichtigstes Beweismittel legen die Grenzschützer den Richtern 568 Seiten Telefonprotokolle vor. Sie sind Ergebnis einer totalen Telefonüberwachung der tamilischen Familie zwischen Juli und Dezember 1997. Darüber hinaus haben nach Angaben des Verteidigers des Hauptangeklagten, Ronald Reimann, zwischen acht und 15 BGS-Beamte die Wohnung der Tamilen fünf Monate lang ständig observiert.
Die Einschleusungen sollen die Männer von ihrer Wohnungen im Wedding aus gemanagt haben. Daß das Verfahren gegen sie am Landgericht Frankfurt (Oder), an einem Ort, an dem sie niemals waren, verhandelt wird, hat einen eher konstruierten Grund: In der Oderregion fand die eigentliche Straftat, der illegale Grenzübertritt der tamilischen Flüchtlinge, statt. Die Angeklagten hatten laut Anklageschrift erstmals Kontakt zu den Flüchtlingen, als diese sie aus dem Berliner Stadtgebiet oder aus dem unmittelbaren Umland, etwa aus Zepernick oder Bernau, anriefen. Sie sollen die Flüchtlinge dort abgeholt, in ihre Wohnung untergebracht und verpflegt haben.
Rechtsanwalt Reimann weist darauf hin, daß Tamilen in Sri Lanka schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Nachdem sich die Flüchtlinge von den Strapazen der Flucht erholt hatten, sollen die Männer sie zu einer der Aufnahmestellen für Asylbewerber oder zu Verwandten gebracht haben. Da mehrere tamilische Flüchtlinge lieber in Westfalen oder Hessen ins Asylverfahren wollten, soll der angeklagte Münsteraner Tamile sie in Berlin abgeholt haben. Laut Anklageschrift ließen sich die Männer von den Flüchtlingen die Unkosten für Verpflegung, Unterkunft und Einkleidung erstatten. Die Staatsanwaltschaft wertet dafür gezahlten 200 bis 300 Mark pro Flüchtling als Schleuserlohn.
Die Anklage gegen die Tamilen liegt auf derselben Ebene wie die gegen die Zittauer Taxifahrer, denen ein Strick daraus gedreht wird, Flüchtlinge aus dem Grenzland ins Landesinnere gefahren zu haben. Wie den Taxifahrern konnte die Staatsanwaltschaft den Tamilen bislang nur nachweisen, neueingereisten Flüchtlinge innerhalb der Bundesrepublik geholfen zu haben. Dennoch lautet die Anklage auf „Einschleusen von Ausländern“, weil die Staatsanwaltschaft in den Männern letzte Glieder ei- ner arbeitsteilig agierenden internationalen Menschenhändlerbande sieht. Dafür drohen Haftstrafen bis zu zehn Jahren. Die Männer saßen bereits mehrere Monate in Untersuchungshaft. Trotz der sechsmonatigen Telefonüberwachung konnten die Ermittlungsorgane allerdings lediglich einen im Ausland lebenden Tamilen namentlich benennen, zu denen die Männer überhaupt Kontakt hatten.
Das Verfahren ist innerhalb von 14 Monaten das fünfte am Landgericht Frankfurt (Oder) gegen Migranten, denen zur Last gelegt wird, ihre Landsleute in die Bun- desrepublik gebracht oder ihnen nach ihrer illegalen Einreise geholfen zu haben. Im vergangenen Herbst wurden drei Berliner Pakistani zu Bewährungsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt, die Landsleuten geholfen hatten, in die Bundesrepublik einzureisen. Hier hatte der BGS sieben Monate lang 8.000 Telefonate abgehört, Briefe der Beschuldigten kontrolliert und pakistanische Asylbewerber mit rüden Methoden verhört. Die Urteile lagen erheblich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, weil den Männern ein kommerzielles Interesse nicht nachgewiesen werden konnte. Das Gericht folgte den Einlassungen der Angeklagten, sie hätten den Flüchtlingen aus politischen und humanitären Gründen geholfen. Dennoch waren die einzelnen Hilfeleistungen für Flüchtlinge, die aus lebensbedrohlichen Situationen geflohen waren, strafbar. Die drei weiteren Verfahren – gegen Pakistani aus Berlin und Warschau – sind noch nicht abgeschlossen.
Harald Glöde von der Berliner Forschungsgesellschaft „Flucht und Migration“ weist auf einen erheblichen Bedeutungswandel in der öffentlichen Meinung über Flucht und Fluchthilfe in den letzten Jahren hin. Aus hilfesuchenden Menschen wurden „Asylbetrüger“, „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Eingeschleuste“. Aus Fluchthelfern, die bis 1989 als ehrbare Menschen galten, wurden „Schleuser“ und „international agierende Menschenhändler“. Der bündnisgrüne Abgeordnete Wolfgang Wieland mahnt an, nicht zu vergessen, daß auch Willy Brandt mit einem Fischer als „Schleuser“ vor den Nazis über die Ostsee geflüchtet war.
Rechtsanwalt Peter Knösel, der einen der verurteilten Pakistani vertrat, bemerkt gegenüber der taz, daß Flüchtlinge seit der Festschreibung der sicheren Drittstaaten im Asylverfahrensgesetz 1993 das Grundrecht auf Asyl nur wahrnehmen können, indem sie illegal einreisen. „Es ist geradezu pervers, daß die Hilfe zur Wahrnehmung dieses Grundrechtes strafbar ist“, meint Knösel.
In der Bonner Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnisgrünen ist von einer Änderung des Einschleusungsparagraphen, nach dem bereits vier Taxifahrer aus Sachsen zu Haftstrafen verurteilt wurden, nicht die Rede. Die Flüchtlinge selbst machten sich laut höchstrichterlicher Rechtssprechung nicht strafbar, wenn sie unmittelbar nach der illegalen Einreise Asyl beantragen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen