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Polizei gegen die schwärende Wunde

Mit Razzien und der Schließung von Bars geht Kubas Polizei gegen die dunkle Seite des kubanischen Tourismusbooms vor: die Prostitution. Rund 90 Prozent aller Besucher aus dem Ausland sind Sextouristen  ■ Aus Havanna Knut Henkel

Blaue Uniformen prägen derzeit das Straßenbild in Havanna. Vor jedem Hotel, vor Bars und Diskotheken und an vielen Straßenkreuzungen im Zentrum stehen Polizisten. Schlechte Zeiten für Ricardo, einen arbeitslosen Elektriker, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, Touristen seine Heimatstadt zu zeigen. „Wenn ich einen Touristen anspreche, muß ich damit rechnen, daß wenig später ein Polizist auftaucht und meinen Ausweis kontrolliert. Da ich arbeitslos bin, bin ich gleich verdächtig, muß mit auf die Wache und mich rechtfertigen, obwohl ich kein Kuppler bin“, erklärt der 24jährige sein Dilemma.

Zuhälter, Kuppler und Prostituierte stehen im Fokus der „Operación Lacra“ (Operation schwärende Wunde), die seit Anfang Oktober mit großem Aufwand betrieben wird. Razzien in Privatwohnungen und bei Zimmervermietern rund um die großen Hotels im Herzen von Havanna sind an der Tagesordnung. Zivilstreifen patrouillieren in der Altstadt, an Havannas Uferpromenade, dem Malecón, und auf den Trampelpfaden des internationalen Tourismus.

Auslöser für das drakonische Vorgehen der Staatsmacht war eine Razzia in Havanna im September. Dabei entdeckten die Beamten einen Frauenhändlerring. Sechs Kubaner wurden festgenommen, weil sie junge Frauen im Osten der Insel angeheuert und zur Prostitution nach Havanna gebracht hatten.

Organisationsgrad und Professionalität der Zuhälter überraschten – in den Regierungsstellen schrillten die Alarmglocken. Der Chef der kommunistischen Partei Havannas, Esteban Lazo, mahnte auf einer Fachtagung Mitte Oktober, die Prostitution könne sich zu einer Lawine auswachsen, die die kubanische Revolution unter sich begrabe, wenn nicht rechtzeitig interveniert werde. „Wir wissen, daß 60 Prozent der Prostituierten einen oder mehrere Zuhälter haben, und wenn wir nicht energisch gegen alle, die die Prostitution fördern, Taxifahrer wie Zimmervermieter, vorgehen, werden wir das Phänomen nicht beseitigen.“

Wie es läuft, läßt sich vor jedem kubanischen Hotel beobachten. Kaum aus der Tür getreten, werden Touristen mit der Frage „Zigarren, Rum oder eine ,chica mulata‘?“ konfrontiert. Gestellt wird sie meist von jugendlichen Kubanern, oft erst 16 Jahre alt, die sich auf diese Art ein paar Dollar Provision verdienen, wenn es zum Geschäft kommt.

„In fünf Jahren ist mein Sohn in dem Alter der Schlepper, und ich will nicht, daß er so wird. Aber mit meinem Gehalt kann ich ihm kaum was bieten“, sagt der 48jährige Iván, ein Universitätsprofessor aus Havanna. „Die Jugendlichen orientieren sich immer öfter am materiellen Wohlstand der Touristen.“ Die gut 300 Peso, die Iván im Monat verdient, gehen größtenteils für Lebensmittel drauf. Ausgehen ist kaum drin.

Kleidung und vor allem Schuhe sind ohnehin nur äußerst selten gegen Peso erhältlich. Für die modebewußte kubanische Jugend eine Katastrophe, denn wer auf sich hält, trägt die neuesten Sneakers von Reebok, Adidas oder Nike. Die aber sind nur gegen Dollar in den neuen Sportboutiquen erhältlich. Vor dem Reebok-Shop in der Nähe der Plaza Central bilden sich lange Schlangen, Jugendliche ohne das nötige Kleingeld drücken sich die Nasen an der Scheibe platt, um wenigstens einen Blick auf die begehrten Produkte zu erhaschen.

Lust auf schicke Klamotten, auf Tanzen gehen in einer der teuren Discos oder auf einen Restaurantbesuch ist es, die auch Alejandra vor das Hotel Casa Grande am Parque Central in Santiago de Cuba treibt. „Ein wenig Abwechslung vom Alltag, einen Freund für ein paar Tage, vielleicht auch fürs Leben“, erhofft sich die 25jährige, die tagsüber in einer Textilfabrik arbeitet. „Für alles und jedes braucht man Dollar. Ohne Dollar kann ich in keine Diskothek gehen, und selbst den Besuch einer kubanischen Bar kann ich mir selten leisten“, klagt die junge Frau über die hohen Preise. Als Prostituierte würde sie sich selbst nicht bezeichnen, denn den Kontakt zu Touristen sucht sie nicht regelmäßig.

Professioneller als Alejandra agieren die leichtbekleideten Frauen auf den Stufen der Hoteltreppe. In Minirock und bauchnabelfreiem Top fordern sie Touristen unmißverständlich auf, sie zu begleiten. Handgreiflich kann es am Malecón oder auf der Rampa, der wichtigsten Geschäftsstraße im Zentrum Havannas, schon mal zugehen. Da wird schon mal am Ärmel gezerrt oder die Hand auf den Busen gelegt, um den potentiellen Freier zum Mitkommen zu animieren. Doch derzeit sitzen am Malecón nur wenige Paare, eng aneinandergekuschelt blicken sie an der beliebten Uferpromende aufs Meer und tuscheln miteinander. Die „jineteras“, die Reiterinnen, wie die Prostituierten in Kuba genannt werden, haben sich zurückgezogen.

Niemand winkt den wenigen Autos mit dem „TUR“-Kennzeichen, die hier langfahren, und auch vor den angesagten Discos in der kubanischen Metropole herrscht Flaute.

Der „Palacio de la Salsa“ und das „Café Cantante“, um nur zwei zu nennen, sind derzeit durch Verordnung des Innenministeriums geschlossen. Dort, wo sonst bis in die frühen Morgenstunden getanzt wird, wo die besten Salsabands des Landes auftreten, müssen die Türsteher die Vergnügungshungrigen auf unbestimmte Zeit vertrösten – ein Novum in der jungen Geschichte des kubanischen Tourismusbooms. Die vorübergehende Schließung zeigt, wie ernst es den Verantwortlichen in Kuba mit ihrer Kampagne gegen die überbordende Prostitution im Lande ist.

In der Bevölkerung stoßen die drakonischen Maßnahmen der Regierung auf Beifall. „Es ist höchste Zeit, daß etwas passiert“, sagt Jesús, ein langjähriges Parteimitglied. Er hält die Schließungen und Polizeieinsätze für „absolut nötig“, um dem Gewerbe einen Dämpfer zu verpassen. „Um dem Phänomen Prostitution beizukommen, muß allerdings mehr passieren“, ist er sich sicher.

Dem pflichtet Iván bei: „Gerade für die Jugendlichen müssen wir neue Perspektiven schaffen, sonst werden wir der Prostitution, des moralischen Verfalls, des Diebstahls nicht Herr. Wenn es so weitergeht, wächst da eine verlorene Generation für unser sozialistisches Gesellschaftsmodell heran“, warnt der Universitätslehrer.

Gerade die Lehrer sind es, die als erstes registrieren, wenn Jugendliche die Schulbank mit der Straße vertauschen. Bereits vor drei Jahren warnte die Wochenzeitung Trabajadores, daß immer mehr Jugendliche der Schule den Rücken kehren würden, weil Bildung die Chancen für den sozialen Aufstieg eben nicht mehr verbessere. Ein Dilemma, das dem Sozialwissenschaftler Omar Everleny seit langem bekannt ist: „Hier offenbart sich ein Grunddefizit des kubanischen Ausbildungssystems. Nahezu alle Jugendlichen haben ein relativ gutes Ausbildungsniveau, das dem Arbeitsplatzangebot nicht entspricht“, erläutert der Vizedirektor des Studienzentrums der kubanischen Wirtschaft (CEEC). „Wir haben eine Bevölkerung, die von der Qualifizierung her der einer Industrienation gleicht, haben jedoch nicht die Entwicklung einer Industrienation, sondern die eines Entwicklungslandes und ein entsprechendes Arbeitsangebot.“

Es sind vor allem die Jungen, die sich mit der Verkauf von geklauten Produkten über Wasser halten. Einen Steinwurf entfernt von der renommierten Partagas-Zigarrenfabrik bieten Jugendliche den Urlaubern das begehrte Rauchwerk zu Spottpreisen an. Frauen sind dort selten, allerdings kennt jeder der Jungen einen Zuhälter oder eine Bekannte, die für einige Dollar für eine Liebesnacht bereit wäre.

Das weiß auch Rosa Miriam Elizarde, eine kubanische Journalistin, die sich seit Jahren mit der zunehmenden Prostitution in Kuba beschäftigt. Nach einer Umfrage, die sie für die Wochenzeitung Juventud Rebelde unter 33 Prostituierten durchführte, kam sie zu dem Schluß, daß die meisten Frauen sich prostituieren, um einen überdurchschnittlichen Konsum aufrechtzuerhalten. Es gehe ihnen nicht um die Befriedigung von Grundbedürfnissen, sondern um Dollar in der Tasche, Elektrogeräte, modische Kleidung, Ausflüge, Hotelaufenthalte und in einem nicht zu unterschätzenden Maße die Möglichkeit, einen Ausländer zu heiraten und außer Landes zu gehen.

Allerdings hat die Zahl der Frauen ständig zugenommen, was nicht zuletzt an der steigenden Nachfrage liegt. „90 Prozent der Touristen, die nach Kuba kommen, sind Sextouristen“, schätzt Iván. Mit den Schönen des Landes wird auch recht offensiv Werbung gemacht. In keinem Reiseprospekt darf eine leichtbekleidete Kubanerin fehlen. Und auch die nationalen Veranstalter bedienen sich nur allzugern der „mulata linda“, der schönen Mulattin. So wird dem Sextourismus Vorschub geleistet, kritisiert Iván verärgert.

Das scheint auch der KP-Sekretär Esteban Lazo begriffen zu haben. Zwar erfordere die Tendenz, die Gesetze zu mißachten, ein hartes Vorgehen, so Lazo, aber polizeilich lasse sich das Problem nicht lösen. Für ihn ist klar, daß man alternative Arbeitsplätze finden und Gesundheitskontrollen einführen muß, vor allem aber respektvoll mit den Prostituierten umgehen muß. Ein Ansatz, dem auch Jesús beipflichtet. „Man muß mit einer aktiven sozialen Arbeit in den Schulen, in den Betrieben, in den Familien beginnen. Langfristig muß sich die ökonomische Lage im Land und damit auch in jeder Familie spürbar verbessern.“ Kein leichtes Unterfangen.

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