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Medikamente und falsche Zähne für alle

■ Das erste Gesundheitsgesetz der neuen Bundesregierung: Kein Notopfer, weniger Zuzahlungen und wieder Zahnersatz für alle

Berlin (taz/dpa) – Weniger Zuzahlungen zu Arzneimittelverordnungen, Zahnersatz für Jugendliche und strenge Budgets für alle Ausgabenbereiche im Gesundheitswesen: Mit diesen Wohltaten bei gleichzeitiger Ausgabenreglementierung will sich die neue Bundesregierung beliebt machen. Gestern legte Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnisgrüne) dem Bundestag einen neuen Gesetzentwurf zur Gesundheitspolitik vor. Als Übergangsregelung soll das „Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung“ 1999 die Kosten im Gesundheitsbereich in Schach halten. Im Jahr 2000 will die Regierung eine große Gesundheitsreform verabschieden. Gestern debattierte das Parlament über das Sofortprogramm.

Andrea Fischer begründete den Gesetzentwurf damit, die Belastungen wieder „gleichmäßiger als in den letzten Jahren verteilen“ zu wollen. Vom Notopfer bis hin zum Zahnersatz sollen ab 1. Januar 1999 folgende Regelungen gelten:

Das Krankenhausnotopfer von jährlich 20 Mark soll für dieses und das kommende Jahr ausgesetzt werden. Während die Krankenkassen mit einem Ausfall von 880 Millionen Mark im Jahr rechnen, beziffert das Gesundheitsministerium diesen Posten mit 730 Millionen Mark. Das Notopfer sei auf erhebliche „Akzeptanzprobleme gestoßen“ heißt es dazu in dem Gesetz. Jugendliche, die nach dem 31.12. 1978 geboren sind, sollen künftig Zahnersatzleistungen erhalten. In der Abrechnung wird wieder das Sachleistungsprinzip eingeführt. Demnächst darf der Zahnarzt den Patienten die Leistungen für Zahnersatz nicht mehr privat in Rechnung stellen. Die Festzuschüsse, die die Krankenkasse dazugaben, entfallen. Vertragspartner ist wieder die Krankenkasse; sie verlangt von den Versicherten, sich an den Kosten zu 50 Prozent beziehungsweise 40 Prozent zu beteiligen, sofern der Patient regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gegangen ist.

Chronisch Kranke sollen künftig weniger für Arzneien zahlen. Zahlt der Versicherte in einem Jahr mehr als ein Prozent seines Jahresbruttoeinkommens für Zuzahlungen, wird er für die weitere Dauer der Behandlung davon befreit. Für alle andern Patienten gelten neue Zuzahlungen. Je nach Packungsgröße werden Arzneimittel künftig mit 8, 9 oder 10 Mark berechnet. Derzeit sind 9, 11 und 13 Mark fällig. Die zum 1. Januar vorgesehene Einführung einer Zuzahlung für psychotherapeutische Behandlungen in Höhe von 10 Mark je Arztbesuch wird gestrichen. Um die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil zu halten, wird eine vorläufige Ausgabenbegrenzung eingeführt. Die Ausgaben für Zahnärzte zum Beispiel werden auf das Ausgabenvolumen von 1997 festgelegt. Ärzte bekommen im kommenden Jahr nur soviel angewiesen wie 1997, plus eines Zuschlags, der sich am Zuwachs der Beitragseinnahmen in diesem Jahr orientiert. Das Budget für Arznei- und Heilmittel soll sich an den Aufwendungen für 1996 orientieren. Krankenhäuser dürfen 1999 prozentual nur so viel mehr ausgeben, wie die Beitragseinnahmen gewachsen sind.

Die milden Gaben kosten nach einer Berechnung des Gesundheitsministeriums rund 2 Milliarden Mark. Bis zu 1,4 Milliarden Mark sollen durch die Einbeziehung der geringfügig Beschäftigten zusammenkommen, sofern die 630-Mark-Jobs denn sozialversicherungspflichtig werden. Freude über die Neuerungen zeigten gestern Gewerkschaften und gesetzliche Krankenkassen. Allerdings, so die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, müßten zusätzliche Einnahmequellen für die Kassen gesucht werden. FPD und CDU lehnen das Gesetz ab. Die Gegenfinanzierung reiche nicht. CDU-Sozialexperte Ulf Fink nannte die Reform „eine Luftnummer sondergleichen“. Die FDP sieht in der Gesundheitspolitik gar die „Planwirtschaft in höchster Potenz“ kommen. roga

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