: Riester macht Wundertüte auf
■ Arbeitsminister Walter Riester (SPD) will niedrigere Rentenbeiträge verteidigen. Die Opposition spricht hingegen von einem widersprüchlichen Konzept
Bonn (taz) – Bundesarbeitsminister Walter Riester hat sich gestern in seiner ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag für eine dauerhafte Senkung der Rentenversicherungsbeiträge eingesetzt.
Die zum 1. Januar 1999 vorgesehene Senkung des Beitragssatzes zur Altersversorgung um 0,8 Prozentpunkte auf dann 19,5 Prozent wolle er „dauerhaft verteidigen“.
Jede Mark, die aus der Ökosteuer zusätzlich hereinkomme, werde für die Senkung der Lohnnebenkosten ausgegeben. Bei der Debatte der Regierungserklärung über die Arbeits- und Sozialpolitik stellte Riester ferner zahlreiche Gesetzesänderungen in Aussicht. CDU und FDP warfen Riester „widersprüchliche Versprechen“ vor.
Riester appellierte an alle gesellschaftlichen Gruppen, den notwendigen Strukturwandel des Arbeitsmarktes gemeinsam in Angriff zu nehmen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit sei aktive Arbeitsmarktpolitik weiterhin „auf dem notwendig hohen Niveau“ unverzichtbar. Besonders wichtig seien Arbeitsplätze für junge Menschen. Das geplante Programm für 100.000 Ausbildungsplätze will der Arbeitsminister mit Ausbildungsverbünden und außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen für diejenigen verwirklichen, die sich nicht in Betriebe vermitteln lassen. Er sagte aber auch: wem qualifizierte Arbeit angeboten werde, „von dem erwarten wir, daß er sie annimmt“. Riester versprach, nach einem Jahr Rechenschaft über den Erfolg abzulegen.
Die sozialen Systeme sollen Riester zufolge „wieder verläßlich“ werden. Insbesondere die Rentenversicherung müsse „zukunftssicher und armutsfest“ werden. In einem ersten Schritt wird die von der Vorgängerregierung beschlossene Absenkung des Rentenniveaus bis zum Jahr 2000 ausgesetzt. Auch die Einschnitte bei der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente werden korrigiert, um zu vermeiden, daß die Betroffenen in die Sozialhilfe abrutschten. In einem zweiten Schritt soll gegen Ende 1999 eine „wirkliche Strukturreform“ auf den Weg gebracht werden. Riester sprach es gestern nicht an, aber die SPD plant unter anderem, Selbständige in die gesetzliche Rentenkasse einzubeziehen, um diese auf eine breitere finanzielle Basis zu stellen. Betroffen sollen allerdings nur diejenigen Selbständigen sein, die noch nicht Mitglieder der berufsständischen Rentenversicherungen sind. Als einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nannte Riester den „exzellenten Vorschlag der Gewerkschaften“, Anreize zu schaffen, damit mehr Arbeitnehmer schon mit 60 Jahren in Rente gehen.
Zur Zeit müssen 60jährige, die vorzeitig in den Altersruhestand gehen wollen, Abschläge von 18 Prozent ihrer Nettorente in Kauf nehmen. Diese Abschläge sollen deutlich gesenkt werden. Das könnte durch einen Tariffonds finanziert werden, in den die Arbeitnehmer etwa ein Prozent der Lohnerhöhungen einzahlen. Riester lobte dieses Modell als Beispiel für „gelebte Subsidiarität“. Unterstützt wird er in der Fraktion von dem Rentenexperten der SPD, Rudolf Dreßler, der den Tariffonds nur mit Beiträgen der Arbeitgeber speisen will. Eine weitere Strömung verkörpert Kanzleramtsminister Bodo Hombach, der mit einer steuerfinanzierten Grundrente liebäugelt, das heißt einer Abkehr vom jetzigen beitragsfinanzierten System.
Die FDP-Abgeordnete Irmgard Schwaetzer und der CDU-Sozialexperte Hermann Kues, bezeichneten in der gestrigen Debatte ein Vorziehen des Rentenalters als nicht finanzierbar. Für die Tariffonds seien jährlich mindestens zweistellige Milliardenbeträge erforderlich, sagte Kues.
Außerdem hätten die Arbeitnehmer nichts davon, wenn ihnen mit der einen Hand genommen werde, was ihnen mit der anderen gegeben werde. Einerseits freuten sie sich noch über die Senkung des Rentenversicherungsbeitrags um 0,8 Prozent, müßten aber andererseits Lohneinbußen hinnehmen.
„Das, was Sie vorhaben“, sagte der Christdemokrat Hermann Kues, „ist eine grobe Ungerechtigkeit im Verteilen der Lasten zwischen den Generationen. Denn eins wird selbst die rot-grüne Koalition nicht verhindern können: daß sich der Altersaufbau der Bevölkerung zu Ungunsten der jungen Generation verschieben wird.“ Markus Franz
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