piwik no script img

Bekenntnis zu Stil und Verstand

■ Mehr Interesse an popkulturellen Phänomenen als an elaborierter Kunstkritik: Mit „martin“ gibt es einen Flyer für die Berliner Kunst

Die Idee kam beim Tanzen. Weil sich Clubkultur und Kunstszene zur Zeit eng aneinanderschmiegen, hat sich die Crew des Partysan, der als Veranstaltungsheft bereits die diskursiven Lücken des Flyer schließen konnte, martin ausgedacht. Mit der Ausgabe für November gibt es den kostenlosen Termin- und Veranstaltungsservice für Berliner Galerien und Museen jetzt monatlich im DIN-A6- Format, in einer Auflage von 25.000 Stück. Die momentan 48 Seiten sollen, wenn es gut läuft, spätestens im Februar auf 64 Seiten erweitert werden.

Dann kann man neben Kunstterminen und Minirezensionen auch „mehr Design und Lifestyle“ ins Heft holen, so Harald Peters, der bei martin mit in der Redaktion sitzt. Werner Labisch, der Mitherausgeber vom Green-Gloger-Verlag, bleibt dagegen skeptisch: Man sei bisher gerade mal „von null auf 20 durchgestartet“, der Erfolg bei den Anzeigen müsse sich erst noch zeigen.

Tatsächlich ist martin eine prima Ergänzung für den Berliner Kunstmarkt. Trotz der noch immer wachsenden Zahl an Galerien in Mitte, Prenzlauer Berg und mittlerweile auch Friedrichshain gibt es kein vergleichbares Medium, das Überblick verschafft – zumal bei einer jungen Szene, in der die Malerei von Daniel Richter bei Contemporary Fine Arts ebenso hip ist wie Heinrich Dubels Sexgraffiti in der Club-Galerie berlintokyo.

Daß die Vorstellungen von Kunst ein bißchen ins trudeln geraten sind, sah man schon auf der berlin biennale, wo die Objekte zwischen Materiallager und atmosphärischem Chillout-Treffpunkt angesiedelt waren. Der Wandel hin zu Kunst, die eher nach Dienstleistung oder Inneneinrichtung aussieht, wird schon in der ersten Nummer von martin zugespitzt: Statt einer Besprechung von „Sensation“ als Großevent gibt es eine Modestrecke mit jungen türkischen Models.

Warum auch nicht? Als Quereinsteiger aus dem Club-Kontext sind die Macher von martin nicht an ausgewiesener Kunstkritik, sondern an der Vermittlung von popkulturellen Phänomenen interessiert. Das Editorial ist ein Bekenntnis zu mehr Stil und gegen das Berliner Proletentum, zum Ausklang steht unter dem Kürzel „slut“ eine Geschichte über Pillen, Pornos und rasierte Muschis. Daneben wirkt die eingeschobene kunsthistorische Betrachtung zu einem Bild von Pieter Bruegel dem Älteren, das in der Gemäldegalerie hängt, ein wenig befremdlich – wo doch gerade erst das art-Magazin seine erbauliche Kolumne über klassische Bildbeschreibung abgeschafft hat.

Peters zumindest findet die „Brechung“ in Ordnung, außerdem soll bald auch Kulturpolitik bei martin stattfinden. Läuft das ganze am Ende doch bloß auf eine Senatsbeilage, auf Hauptstadtkultur im Westentaschenformat hinaus? Immerhin weiß auch Labisch, daß sich die Auswahl danach richtet, „wie groß der Markt ist“. Bislang haben Partner für Berlin und Guggenheim Anzeigen geschaltet – und Dr. Motte. Harald Fricke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen