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Flucht vor Rot-Grün

■ Millionenschwere Krefelder CDU-Lokalgrößen wandern jetzt aus politischen Gründen aus

Krefeld (taz) – Rot-Grün fordert seine ersten prominenten Opfer: „Wir sind betroffen von dem Haß und Neid, der uns von der Seite der Regierenden entgegenschlägt.“ So steht es in der Erklärung des wahrscheinlich (einfluß-) reichsten Ehepaars aus Krefeld, Maria (54) und Dr. Dolf Stockhausen (53). Im Januar wollen die beiden samt der 17jährigen Tochter Adriane ins österreichische Graz umziehen. Joschka ein politischer Häscher und der Kanzler ein Germanen-Saddam: Deutschland nach dem 27. September halten sie nicht mehr aus.

Ausschlaggebend für die beiden politisch stadtweit einflußreichen Lokalgrößen (sie ausdauernde Kulturämterhäuferin und CDU- Ratsfrau; er CDU-Schatzmeister, Chemie-Industrieller, ehemals Inhaber der Pharmafirma Stockhausen Chemie und hofierter Kunstmäzen) ist neben vorgeblichen gesundheitlichen Gründen („Reizklima“) der als dramatisch empfundene politische Wechsel in Bonn. „Es fällt uns schwer, in einem rot-grün-PDS-regierten Land zu leben“, begründen die beiden ihre Flucht (Lokalpresse: „Stockhausens gehen ins Exil“), mit der sie auch andere „deutlich gewarnt haben“ wollen. Und: Sie könnten es „nicht dulden“, daß ihnen ihr „hart und ehrlich erarbeitetes Geld und mehrfach hochversteuertes Vermögen durch die angekündigten Steuererhöhungen stückweise weggenommen wird“.

Mitleid? Dolf Stockhausen hat Angst um „seine Habe“, für die dieses Land nicht mehr der „individuell beste Standort“ sei. Vor dem Abgang ins vermögensteuerfreie und erbschaftsteuerreduzierte Österreich gab Theaterfreund „Dr. Dolf“ (Krefelder Insiderkürzel) noch ein Rührstück: „Wir lassen Verwandte und Freunde hier zurück, die uns sehr am Herzen liegen. Ich könnte manchmal heulen. Krefeld ist meine Heimat.“

Wie dramatisch die Angst des Industriellenpaares vor Enteignung ist, hat Krefelds Bevölkerung indes noch nicht recht verstanden. In ersten Reaktionen ist die Rede von Heuchelei, Feigheit, Wirtschaftsflüchtlingen, Scheinasylanten und „demagogischen Ergüssen“ im Abschiedsbrief. Selbst die konservative Rheinische Post, dem umtriebigen Paar stets in Demut gewogen, wünschte vieldeutig „gute Besserung“.

Und der politisch verantwortliche Gegner, die rot-grünen Hasser und Neider selbst? Einen wie Dr. Eugen Gerritz, langjähriger Stadtrat der SPD, schmerzt der Abgang denkbar wenig: „Sollen sie gehen! Mich stört daran nur, wie hier der Begriff Exil mißbraucht wird.“ Auch Rolf Rundmund, Krefelds grüner Fraktionsvorsitzender hat „kein schlechtes Gewissen“ und sagt: „Wir halten ja auch die schwarze Mehrheit hier in Krefeld aus. Wenn mir eine Regierung nicht paßt, suche ich mir doch kein anderes Volk.“ Dennoch: „Ich wünsche gute Reise.“ Deutschland verliert seine Besten, und der Niederrhein sagt leise servus. Bernd Müllender

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