: „Der Markt ist am Ende stärker“
■ Joachim Scheide ist Konjunkturexperte des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Ein System weltweit stabiler Wechselkurse hält er weder für machbar noch für sinnvoll
taz: Finanzminister Oskar Lafontaine hat dem Kasinokapitalismus den Kampf angesagt. Überbordende Devisenspekulationen wollte er durch die Stabilisierung von Wechselkursen verhindern. Die Währungs- und Finanzkrisen in Asien und Rußland scheinen ihm da recht zu geben. Warum hat sich das IfW von Anfang an gegen diese Idee gestellt?
Joachim Scheide: In Asien war es gerade ein zentraler Teil des Problems, daß man sich zu lange an die festen Wechselkurse geklammert hat. Hätten die Regierungen mehr Flexibilität zugelassen, hätte das die Asienkrise zwar vielleicht nicht ganz verhindert, aber zumindest wäre es nicht zu dieser Zuspitzung gekommen.
Lafontaines Chefberater Heiner Flassbeck möchte Abwertungen ja durchaus im Rahmen eines Zielkorridors zulassen.
Wir haben in der Vergangenheit massive Wechselkursänderungen zwischen den Hauptwährungen US-Dollar, Mark und Yen gesehen, um die es hier geht. Hätte man zum Beispiel in diesem Jahr Zielzonen mit einer Schwankungsbreite von, sagen wir, zehn Prozent gehabt, hätte der Yen gegenüber dem US-Dollar die Bandbreite nach unten durchbrochen. Dann hätten die Zentralbanken mit Milliardensummen intervenieren müssen, und innerhalb kurzer Zeit wäre das System kaputt.
Kontraproduktiv sind umgekehrt aber auch die Wechselkursschwankungen zwischen den USA und Japan. Durch die Yen-Abwertungen werden japanische Produkte billiger als US-amerikanische. Auf ihr dadurch wachsendes Handelsbilanzdefizit reagieren die USA dann immer wieder, indem sie Handelskonflikte mit Japan vom Zaun brechen. Der Welthandel würde durch stabilisierte Wechselkurse also friedlicher.
Dieses Problem besteht tatsächlich. Aber die Antwort darauf muß doch sein, die Amerikaner davon zu überzeugen, sich an die Regeln des freien Welthandels zu halten.
Wenn sich aber die USA nicht von ihrer Politik abbringen lassen, warum es dann nicht doch mit einer Stabilisierung der Wechselkurse versuchen?
Um die Abwertung des Yen zu verhindern, hätten die Japaner die Zinsen erhöhen müssen, damit die Investition in Yen attraktiv wird. Diese Zinserhöhung wäre dann mitten in die schlimmste Rezession der Nachkriegszeit gefallen. Umgekehrt hätten die USA die Zinsen senken müssen in einer Zeit, in der die Wirtschaft boomte und zu Inflationsängsten Anlaß gab.
Oder sie hätten Yen zur Kursstützung in großen Massen aufkaufen müssen.
Die Erfahrungen zeigen, daß das nicht funktioniert. Die Bundesregierung hat in den 70er Jahren zig Milliarden Dollar aufgekauft, um den Kurs der US-Währung zu stützen. Sie mußte aber aufgeben. Der Markt ist am Ende einfach stärker.
Wenn Sie Zielzonen für Wechselkurse keine Chance einräumen – was würden Sie Herrn Lafontaine alternativ dazu raten?
Wir müssen dafür sorgen, daß jedes Land versucht, seine Wirtschaftspolitik auf die binnenwirtschaftlichen Erfordernisse abstimmt. Wenn dabei Wechselkursschwankungen herauskommen, muß man sie hinnehmen. Schwankende Wechselkurse sind schließlich nicht der Grund allen Übels. Wenn die Fundamentaldaten – solide Finanzpolitik, stabiles Wirtschaftswachstum zum Beispiel – stimmen, dann kommt es auch nicht zu so großen Schwankungen.
Wäre das dann die richtige Strategie für Herrn Lafontaine: daß sich die großen Wirtschaftsmächte in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik absprechen, so wie es auch die EU als Voraussetzung für die Währungsunion tut?
Vielleicht, aber es würde nicht klappen. Denn die drei großen Wirtschaftsblöcke haben ganz unterschiedliche Probleme – in Japan ist es zum Beispiel das Bankensystem, in der EU dagegen die Arbeitslosigkeit.
Ihr einziger Vorschlag lautet also: den Märkten auf Gedeih und Verderb ihren freien Lauf lassen?
Letztlich führt kein Weg daran vorbei. Interview Nicola Liebert
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