: Berufung light soll zum Regelfall werden
Jahrelang bissen sich Politiker, die die Justiz reformieren wollten, die Zähne aus. Nun setzt Herta Däubler-Gmelin zur Reform an. Sie will untere Instanzen stärken und neu regeln, wann Berufung eingelegt werden kann ■ Von Christian Rath
Freiburg (taz) – Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) traut sich was. Die seit den 70er Jahren immer wieder gescheiterte Strukturreform der deutschen Justiz will die SPD-Politikerin nun anpacken. Jedoch haben die Südländer Bayern und Baden-Württemberg schon ihren Widerstand signalisiert.
Wichtigstes Ziel von Däubler- Gmelin ist es, die Berufung gegen Zivil- und Strafurteile neu zu ordnen. Teilweise soll es mehr Instanzen, teilweise weniger geben. So ist heute bei etwa der Hälfte der Zivilurteile eines Amtsgerichts keine Berufung mehr möglich. Macht der Amtsrichter einen Fehler, muß das akzeptiert werden. Dabei geht es immerhin um Streitwerte von bis zu 1.500 Mark. Hier will Däubler-Gmelin eine Art „Berufung light“ einführen. Vor der zweiten Instanz würde dann nicht der gesamte Prozeß neu aufgerollt, sondern nur etwaige Fehler des Amtsgerichts korrigiert.
Auf der anderen Seite soll die „Berufung light“ auch dort zur Anwendung kommen, wo es heute noch eine echte Berufungsmöglichkeit gibt. Damit würde eine schwer verständliche Asymmetrie des deutschen Strafrechts ausgemerzt. Denn heute gibt es nur für Delikte wie Einbruch oder Urkundenfälschung zwei Instanzen, in denen Beweise erhoben werden. Dagegen ist bei Mord keine Berufung vorgesehen, sondern nur die Prüfung auf Rechtsfehler, die Revision. Eine Reform befürworten zwar alle Länder, die meisten von ihnen wollen allerdings lediglich Rechtsmittel abbauen und keine neuen einführen.
Zusammen mit der Rechtsmittelreform möchte Däubler-Gmelin auch innerhalb der Gerichte Änderungen vornehmen. „Wenn die erste Instanz wichtiger wird“, so die Justizministerin, „dann müssen wir sie auch aufwerten und mit guten und erfahrenen Richtern besetzen.“ Diesen Teil der Reform hält man etwa in Baden-Württemberg für überflüssig. „Unsere Amtsgerichte arbeiten jetzt schon sehr gut“, heißt es im Stuttgarter Justizministerium.
Man hat wohl auch Angst davor, das traditionelle Beförderungsgefüge der Richterschaft durcheinanderzubringen. Bisher gilt nämlich die Regel, daß mit jeder Beförderung die Funktionen eines Richters wachsen müssen. „Will man in der untersten Instanz nur noch erfahrene Richter einsetzen, dann dürfte es dort nur noch Beförderungsstellen geben“, erklärt Viktor Weber vom Deutschen Richterbund. Das aber wäre teuer. Und es stellte sich auch die Frage, auf welcher Ebene der Justiz überhaupt noch Berufsanfänger eingesetzt werden könnten.
In Bonn hält man solche Probleme für lösbar. „In der ersten Instanz können nicht nur beförderte Richter sitzen“, erklärt ein Sprecher des Bundesjustizministeriums, „entscheidend ist vielmehr, daß man auch in der untersten Instanz Karriere machen kann und nicht zu den Obergerichten abwandern muß.“
Schwer vermittelbar sind die Bonner Pläne vor allem deshalb, weil in einem zweiten Reformschritt der „dreistufige Justizaufbau“ verwirklicht werden soll. Amtsgerichte und Landgerichte würden dann zu einer zentralen „Eingangsinstanz“ zusammengelegt. Als Rechtsmittelinstanz dienten die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof sicherte die Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Ein ähnliches System gab es in der DDR. Es wurde allerdings nach der Wende zugunsten der westdeutschen Vierstufigkeit abgeschafft. Allerdings wird im Westen die Dreistufigkeit schon seit den 70er Jahren diskutiert.
Gegen eine solche Reform werden vor allem die hohen Einführungskosten geltend gemacht. „Allein in Baden-Württemberg müßten wir 500 Millionen Mark aufwenden“, klagt der Stuttgarter Justizminister Ulrich Goll (FDP). Denn die Zusammenlegung von Amts- und Landgerichten erfordere neue, größere Gebäude. „Noch schlimmer aber wäre“, befürchtet Goll, „der Verlust der derzeitigen Bürgernähe der Justiz.“
In Bonn weist man dies zurück: „Das Eingangsgericht mit Sitz in einer größeren Stadt kann durchaus Außenstellen in den umliegenden kleineren Gemeinden haben“, betont ein Sprecher Däubler-Gmelins. Ein großer Wurf wäre die Dreistufigkeit dann aber nicht mehr. Schon wird unter Richtern gespottet, nun werde bloß das Türschild an den Amtsgerichten ausgewechselt.
Allein Sachsen-Anhalt und seine Justizministerin Karin Schubert setzen noch auf die zentralistische Form der Dreistufigkeit. „Zu kleine Gerichte sind ineffizient und bieten schlechtere Rechtsprechung“, heißt es in Magdeburg. Die SPD-Landesregierung beruft sich dabei auf ein Gutachten der Unternehmensberatung Kienbaum. Als Mindestgröße für ein Gericht werden dort zehn Richter vorgeschlagen. Sachsen-Anhalt will deshalb damit beginnen, die Zahl seiner Amtsgerichte von 35 auf rund 20 zu reduzieren.
Und die Bürgernähe? „Bürgernah ist eine gute Rechtsprechung“, betont eine Sprecherin der Magdeburger Justizministerin. Im übrigen müßten die meisten Menschen doch nur recht selten zum Gericht. Und wenn, möchte man hinzufügen, sind sie vielleicht ganz froh, wenn der Prozeß nicht am Wohnort stattfindet.
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