: Kohl-raaben-schwarze Politik
GesamtschülerInnen protestieren gegen Sparpläne der Behörde. Neue Statistik: Weniger SchülerInnen als erwartet ■ Von Judith Weber
So heftig es seine Muskeln zulassen, rüttelt Philip an der Glastür der SPD-Zentrale. „Aufmachen“, schreit er, „los, aufmachen!“ Die Scheiben im Türrahmen vibrieren; die Pförtnerin in ihrer Loge erhebt sich warnend vom Stuhl. Philip grinst verlegen und läßt die Tür in Ruhe. Wie seine Klassenkameraden begnügt er sich damit, im Foyer des Kurt-Schumacher-Hauses zu warten. Rund 30 GesamtschülerInnen stehen hier herum und wärmen sich auf, während vor dem Gebäude 6000 weitere gegen die Sparpläne von Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD) protestieren.
Es ist die zweite große Bildungsdemonstration in diesem Jahr, nachdem im Mai 80.000 auf die Straße gingen. Zum ersten Mal protestieren SchülerInnen nur einer Schulform; alle 42 Gesamtschulen sind vertreten. Die Jugendlichen stemmen sich gegen das Vorhaben der Senatorin, 45 Prozent der Stunden für BeratungslehrerInnen zu streichen und einen Teil der sogenannten Koordinationsstunden abzuschaffen, in denen sich beispielsweise die LehrerInnen zweier unterschiedlicher Englisch-Kurse absprechen können. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es SchülerInnen, von einem schwachen in einen stärkeren Kurs zu wechseln. Wenn es solche Angebote nicht mehr gibt, „verkommen die Gesamtschulen zu Massenbetrieben“, schimpft SchülerInnenkammer-Sprecherin Julia Liedtke.
Die wenigen LehrerInnen, die an die Kurt-Schumacher-Allee gekommen sind, lächeln stolz ob dieser Unterstützung. „Die Jugendlichen wissen, daß es um ihre Schulbildung geht“, freut sich Gerd Thiem. Er ist Beratungslehrer an der Erich-Kästner-Gesamtschule und von den Kürzungen direkt betroffen. Sein Kollege Heiner Andresen hat ein „Gesamtschullied“ getextet, das er von der Bühne aus zum besten gibt. Und weil Demonstrationen zu den seltenen Anlässen gehören, bei denen SchülerInnen ihren Lehrern applaudieren, wird der Song begeistert beklatscht.
Die Lehrer hoffen, daß Raab ihren Sparkurs noch korrigiert. Schließlich ist die SchülerInnenzahl laut der jüngsten Herbststatistik gesunken. 209.871 Kinder und Jugendliche wurden in den Klassen gezählt; die Behörde hatte mit 211.621 gerechnet. Damit werden rund 145 Lehrerstellen weniger benötigt als geplant.
Nun ist – rein rechnerisch – Geld übrig. Zum Beispiel, um „die Gesamtschulen entsprechend ihrer integrativen Aufgaben auszustatten“, wie es in einer gemeinsamen Resolution von Eltern, SchülerInnen und der Lehrergewerkschaft GEW heißt. Jedenfalls soll künftig nicht mehr die Senatorin allein entscheiden, wo gespart wird, fordert Klaus-Peter Schieber von der Arbeitsgemeinschaft der Gesamtschul-Elternräte. Er verlangt ein Vetorecht für Eltern und Lehrer und liefert ganz nebenbei die wohl komplizierteste Demo-Parole: die einer „rot-grünen kohl-raaben-schwarzen Bildungspolitik“.
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