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■ Der Kampf um die Auslieferung des PKK-Führers Abdullah ÖcalanNationaler Furor, reale Friedenschancen

Vierzehn Jahre Krieg haben bei Kurden und Türken Wunden hinterlassen. Seit Abdullah Öcalan, der Führer der PKK, in Italien verhaftet wurde, gehen die Emotionen hoch. Haß, Angst, Wut und Ohnmachtsgefühle – der gesamte Gefühlsstau der letzten 14 Jahre entlädt sich nun an der Frage, ob Öcalan an die Türkei ausgeliefert wird. Während die PKK ihre Sympathisantenschar bis zum letzen Mann/Frau/Kind zum Marsch auf Rom mobilisierte, um ihren Helden zu unterstützen, brach in der Türkei ein regelrechter nationalistischer Furor aus. Der leibhaftige Dämon, der Mann mit den bluttriefenden Händen, sitzt endlich im Gefägnis, und jetzt wollen die Italiener ihn uns nicht geben. Wir werden ihn uns holen!

In der Aufgeregtheit der letzten Tage drohte das Wichtigste fast unterzugehen: Der Krieg in Kurdistan ist vorbei, es gibt jetzt eine wirkliche Chance zum Frieden. Militärisch hat die türkische Armee gesiegt. Die letzten Guerillaverbände haben ohne ihr syrisches Rückzugsgebiet und ohne ihre Camps im Nordirak keine Chance mehr. Jetzt ist unabweisbar eine politische Lösung gefragt, die die türkische Politik jahrelang versäumte. Jetzt kann sie sich nicht länger davor drücken. So wenig man das in der Türkei hören will, dies ist ein Verdienst der PKK. Der rationale Kern hinter der jetzigen Hysterie um die Auslieferung Öcalans ist, ob der Guerillakrieg die PKK legitimiert, nun für die Kurden in der Türkei zu sprechen.

Die Kurdische Arbeiterpartei ist vom türkischen Staat brutal bekämft worden; aber auch die PKK hat diesen Krieg mit aller Brutalität geführt. Die Arbeiterpartei Kurdistans ist keine demokratische Organisation, und die Kurden in der Türkei hatten nie die Möglichkeit, sich authentisch zu äußern. Es liegt an der türkischen Regierung, dies zu ermöglichen. Statt sich auf die Auslieferung Öcalans zu kaprizieren, sind jetzt politische Angebote an die kurdische Bevölkerung gefragt. Das Amnestieangebot, das jetzt vorsichtig diskutiert wird, wäre ein wichtiger Schritt nicht nur für die Kämpfer der PKK, sondern auch ein Zeichen an andere kurdische Politiker, sich an der Lösung der kurdischen Frage zu beteiligen.

Die Konzentration auf die Person Abdullah Öcalan ist dabei eher hinderlich. Eine Auslieferung Öcalans wird für die politische Lösung kaum hilfreich sein. Denn ein Schauprozeß in der Türkei würde Öcalan in den Augen der Kurden zum Märtyrer machen. Öcalan in Italien Asyl zu gewähren darf aber nicht die internationale Anerkennung der PKK als alleinigem Vertreter der Kurden bedeuten. Denn die türkische Bevölkerung würde, von wenige Ausnahmen abgesehen, Öcalan keineswegs als Verhandlungspartner akzeptieren. Deshalb sind nun auch die Kurden gefragt. Jürgen Gottschlich

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