: Protest aus der Volxküche
Zwei Jahre Kampf ums Hafenkrankenhaus auf St. Pauli: Die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ feiert heute Geburtstag ■ Von Judith Weber
Die Freier blieben unbefriedigt, die Betten der Prostituierten leer. Für eine halbe Stunde legten die Frauen in der Herbertstraße ihre Arbeit nieder – aus Solidarität mit jenen, die draußen durch St. Pauli gingen, begleitet von gelegentlichen Schiffssirenen und dem quäkenden Hupen der 30 Taxen, die sich den DemonstrantInnen angeschlossen hatten.
Anfang 1997 war das. Die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“, Organisatorin der Protestaktion, war vor wenigen Monaten gegründet worden, und ihr Sprecher Holger Hanisch hatte noch nicht vor Gericht erscheinen müssen wegen seiner Aktivitäten zur Rettung des Hafenkrankenhauses. Gerade war der geplante Exitus der Kiez-Klinik publik geworden (siehe Chronik), und ihn galt es zu verhindern, mit Demos, Unterschriftenlisten und Mahngottesdiensten im Michel.
„Die Unterstützung, die wir aus dem Stadtteil bekommen haben, war einmalig“, schwärmen Mitglieder der Initiative noch heute und setzen nach einer kleinen Pause hinzu: „Sie ist es immer noch.“ Sicher, seit das Hafenkrankenhaus nicht mehr besetzt, sondern nur noch geschlossen ist, und seit die Verhandlungen über ein Gesundheitszentrum sich hinziehen (siehe Text unten), ist die Stimmung gesunken. „Viele glauben nicht mehr an eine Lösung“, sagt Ini-Mitglied Günter Pingel.
Zu den Sitzungen an jedem dritten Montag im Monat kommt meist nur etwa 20 Männer und Frauen, und auch sonst ist es ruhiger geworden um die Initiative. Zwar erscheinen die Mitglieder immer noch zu Demonstrationen – auch auf solchen, bei denen es um Kitas statt um Kranke geht. Doch der Charme des Paulianer Originals, das sich am 21. November 1996 in der Volxküche der Hafenstraße gründete und ein Vierteljahr später die Station D in der Kiez-Klinik besetzte, ist verblaßt. Um Verhandlungen mit Stadt und Krankenkassen nicht zu gefährden, hielt die Ini in den vergangenen Monaten still. Zum heutigen zweiten Geburtstag wurden ordentliche T-Shirts bedruckt, und auf der Station D werden zu Pressekonferenzen weiße Tischdecken aufgelegt.
Nun wird es Zeit, daß sich wieder etwas bewegt. Die Ini will auf die Straße gehen. „Uns dauert das alles zu lange“, sagt Hanisch. „Wir fühlen uns von der Stadt verschaukelt“, schimpft Pingel. Zu lange wären die Planungen für das Gesundheitszentrum, zu viele Projekte stehen noch auf der Kippe. Unklar ist etwa, ob eine Hilfseinrichtung für traumatisierte Flüchtlinge in die ehemalige Kiez-Klinik kommt, ein Entzugszentrum für AlkoholikerInnen und eine psychi-atrische Tagespflege-Stelle.
Der Wunschzettel zum Geburtstag steht daher schon lange fest. Ganz oben auf der Liste finden sich Betten. Mehr als 20 sollen es sein, und wenn es sie nicht gibt, kann man die anderen Wünsche auch vergessen. „Ein Gesundheitszentrum ist ohne Stadtteilbetten nicht denkbar“, beharrt Ini-Sprecher Holger Hanisch. Erstens können Kranke so besser versorgt werden. Zweitens bringen Betten Geld von den Krankenkassen, und das wird dringend gebraucht. Die Ambulanz im Hafenkrankenhaus produziert Miese; rund 15.000 Mark haben die vergangenen zwei Jahre gekostet. Um das Defizit auszugleichen, wären 23 bis 26 Betten nötig.
Die Krankenkassen zeigen sich unbeeindruckt von derartigen Forderungen. Trotzdem „wird die Ini-tiative ernst genommen“, beharrt Hanisch. Das zeige schon ein Strafverfahren gegen ihn „wegen einer Aktion vor dem Hotel Atlantic.“ Dort wurde das 175jährige Bestehen des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg gefeiert; die Initiative nutzte die Gelegenheit, an ihr Anliegen zu erinnern.
Es ist nicht der erste Kontakt mit Hamburgs Justiz, den Hanisch wegen seines Engagements hat. Unter anderem mußte er vor Gericht erscheinen, weil er bei einer Veranstaltung mit Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) vor dem Rathaus ein Plakat pro Gesundheits-zentrum entrollt haben sollte.
Derartiges Gerangel mit den Gerichten tangiert Hanisch nicht. Schließlich wurde die Initiative gegründet, um anzuecken. Und wenn heute gefeiert wird, „dann zwei Jahre Kampf“.
Öffentliche Geburtstagsparty mit Flohmarkt, Vorführungen und Musik heute ab 15 Uhr auf der Station D, Hafenkrankenhaus-Gelände am Zirkusweg. Bettenparade auf der Reeperbahn am Donnerstag, 26. November, ab 16.30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen