: Ein bankrottes Land ist außenpolitisch nicht souverän
■ Die ökonomische Misere Albaniens bestimmt auch das Verhältnis zu Italien und Griechenland
Berlin (taz) – Albaniens neuer Ministerpräsident Panteli Majko reiste vorige Woche nach Rom und Athen. Die Antrittsbesuche machen deutlich: Italien und Griechenland sind die Nachbarländer, die das Überleben der albanischen Gesellschaft sichern.
In Athen trat Majko als Fürsprecher der 300.000 albanischen Wanderarbeiter auf, die in den Poren der griechischen Schattenwirtschaft leben. „Jede Familie in Albanien hat ein Mitglied in Griechenland“, erklärte Majko in Athen. Dahinter verbirgt sich ein Schlüsselmoment der albanischen Misere: Die Drachmen, die diese „Gastarbeiter“ nach Hause schicken, ernähren jede dritte albanische Familie.
Das zweite Land, auf das die albanischen Überlebenkünste angewiesen sind, liegt jenseits der Adria. Aber Italien zählt zu Mitteleuropa, das die illegale albanische Einwanderung als Bedrohung wahrnimmt. Deshalb müssen die Italiener ihren EU-Partnern zeigen, daß sie den Zustrom von „Wirtschaftsflüchtlingen“ eindämmen wollen. Deshalb stand auf Majkos römischer Tagesordnung das Stichwort Sazan. Die Insel vor der Bucht von Vlora in Südalbanien wurde von Majko an Italien quasi abgetreten – als Stützpunkt der italienischen Küstenwache. Die will mit einer 300-Mann- Truppe den Menschenschmuggel noch auf der albanischen Seite der Adria stoppen.
Gegenüber Griechenland geht der Souveränitätsverzicht nicht ganz so weit. Im Kanal zwischen der albanischen Küste und Korfu hat die griechische Küstenwache seit kurzem albanische Polizisten mit an Bord. Die gemischten Patrouillen dürfen Schmuggler- oder Mafiabanden bis zur albanischen Küste verfolgen.
Der Souveränitätsverzicht gegenüber Italien und Griechenland zeugt von der Schwäche des albanischen Staates. Tirana hat den Süden des Landes immer noch nicht unter Kontrolle. Der Norden hat sich seit der Durchdringung mit UCK-Kämpfern nur noch weiter verselbständigt. Daran wird sich wenig ändern. Das Souveränitätsdefizit ist ein strukturelles Problem. Ein Land, das jenseits des kriminellen Sektors fast keine eigene Wirtschaft hat, ist auch nach außen nicht souverän. Tirana muß froh sein, die albanische Armee mit Hilfe italienischer Instrukteure und die Polizei mit Hilfe griechischer Ausbilder modernisieren zu können. Das könnte mittelfristig wenigstens gegen die Mafia helfen.
Das Hauptproblem bleibt die ökonomische Misere. Deshalb muß sich der albanische Regierungschef bei seinen Nachbarn für die albanischen Arbeitsemigranten verwenden. In Griechenland ist Anfang 1998 die Legalisierung der albanischen „Gastarbeiter“ angelaufen, die bis Jahresende abgeschlossen sein soll. Die Frage ist nur, wo die Albaner bleiben, deren Arbeitgeber die verteuerte legale Arbeitskraft nicht mehr beschäftigen wollen. Laut Gesetzestext können sie ausgewiesen werden. Das wäre für Albanien der ökonomische GAU. Majko dürfte die Regierung Simitis auf dieses Thema angesprochen haben. Viele Albaner würden nach Hause zurückkehren, sobald dort „andere ökonomische Bedingungen“ einkehren, hat er in Athen versichert. Aber gleich hinzugefügt: „Ein Teil von ihnen wird wahrscheinlich hierbleiben.“ Niels Kadritzke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen