piwik no script img

Wut in der Türkei gegen alles Italienische

Nach der Freilassung des PKK-Chefs sind die Beziehungen zwischen der Türkei und Italien auf dem Tiefpunkt  ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Die Entscheidung des italienischen Berufungsgerichts, PKK- Chef Abdullah Öcalan auf freien Fuß zu setzen, hat in der Türkei der Empörung über Italien weiteren Auftrieb gegeben. In einer ersten Reaktion sagte der türkische Botschafter in Rom, die Gerichtsentscheidung entspräche der bisherigen italienischen Haltung, jeden Ermessensspielraum immer zugunsten Öcalans auszulegen. Damit dürfte sich der Konflikt zwischen den beiden Ländern weiter verschärfen. Ein Schlichtungsversuch auf oberster Ebene ist bereits gescheitert. Der italienische Ministerpräsident D'Alema hatte in Ankara anfragen lassen, ob der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz Interesse habe, sich mit ihm am Rande des Champion-Liga- Spiels Juventus Turin gegen Galatasaray Istanbul am Mittwoch abend in Istanbul zu treffen. In rüder Form erteilte Yilmaz ihm daraufhin im Rahmen einer Parlamentsrede eine öffentliche Absage. D'Alema müsse schon nach Ankara kommen, wenn er ihn sprechen wolle.

Für das Juventus-Spiel werden jetzt außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet, da Ausschreitungen gegen italienische Spieler oder Fans zu befürchten sind. Die Spieler werden sich in Istanbul nur unter Polizeischutz bewegen. Bereits jetzt ist die öffentliche Stimmung gegen alles, was italienisch ist, äußerst gereizt. Ein traditioneller italienischer Weihnachtsmarkt in Istanbul wurde abgesagt, türkische Reisebüros registrieren nur noch Stornierungen für Italien-Reisen, auf einem Großmarkt wurden demonstrativ italienische Waren zertrampelt und die Devisenläden haben den Handel mit italienischer Lira eingestellt. Vertreter italienischer Firmen in der Türkei befürchten für ihre Geschäfte das Schlimmste. Selbst wenn es keinen offiziellen Wirtschaftsboykott gegen Italien gibt – eine Maßnahme, die nach wie vor im Gespräch ist –, ist das Image Italiens doch derart auf dem Tiefpunkt, daß italienische Waren kaum eine Chance haben.

In den letzten zwei Tagen hat die Polizei aufgrund eines Beschlusses des Staatssicherheitsgerichts in Ankara landesweit alle Büros der kurdischen HADEP- Partei durchsucht und rund 700 Menschen vorläufig festgenommen. Den meisten wird die Unterstützung der PKK vorgeworfen. In vielen HADEP-Büros hatten Hungerstreiks zur Unterstützung Öcalans stattgefunden.

Unter den Festgenommenen ist auch der Parteivorsitzende von HADEP, Murat Bozlak. Bozlak wird voraussichtlich auch in Haft bleiben.

Nach offiziellen Angaben hat das türkische Militär am Donnerstag erneut eine großangelegte Operation in den kurdischen Bergen in der Türkei gestartet, mit dem Ziel, die angeblich letzten 500 PKK-Militanten umzubringen. Verschiedene Kommentatoren in türkischen Zeitungen warnen jetzt davor, die PKK und die Kurden gleichzusetzen und dadurch die Gesellschaft wirklich zu spalten.

Mitten in die angespannte Situation fiel am Donnerstag abend mit großer Mehrheit im Parlament die Entscheidung, die Mißtrauensanträge gegen die Minderheitsregierung von Mesut Yilmaz am kommenden Mittwoch zur Abstimmung zu stellen. Die Entscheidung von Donnerstag nacht wird allgemein als Vorentscheidung für den Ausgang der Abstimmung am Mittwoch gewertet. Fast alle Kommentatoren gehen davon aus, daß die Türkei am Mittwoch abend erst einmal keine Regierung mehr hat. Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen