piwik no script img

Leblos ins Graue geschossen

„Die Frau vom Meer“: Peter Mussbachs erstickende Ästhetik am Thalia  ■ Von Karin Liebe

Die Frau vom Meer hat's schwer. Dunkel ist ihr Gemüt, wechselhaft ihr Wesen. Ellida (Annette Paulmann) schwankt zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und der Angst, ihr Leben als Ehefrau eines langweiligen Landarztes zu vertun. Wie das Meer seine Farbe variiert, so verändern sich ihre Stimmungen in allen Schattierungen von Grau zu Schwarz – nur nie ins Blaue.

Peter Mussbachs Inszenierung von Ibsens melodramatischem Spätwerk Die Frau vom Meer ist wunderschön anzuschauen, doch in seinem Bemühen um eine ausgeklügelte Ästhetik erstickt er fast jeden Rest von Lebendigkeit, den Ibsen seinem bedeutungsschweren Stück noch gelassen hat. Effektvoll zieht er die Analogie von Gefühlen und Farben als grauen Faden durch sein strenges Konzept. Kieselgrau sind Meer und Himmel im ersten Bild (Bühne: Rolf Glittenberg), später wechselt der monochrome Hintergrund von Taubenblau zu Anthrazitgrau. Und erst im letzten Aufzug klart der hohe weite Horizont wieder hellgrau auf.

Große, graue, glatte Steine liegen anfangs am Boden, ein paar Stege darüber als einzige Eingriffe in die leblos wirkende Natur. Hier müssen Menschen einfach einsam sein. Am Horizont aber schwebt ein Strauß knallgrüner Luftballons. Hilde (Dorothee Hartinger), die jüngere Stieftochter von Ellida, hat sie zu Ehren von Mutters Geburtstag gehißt. Mutter, damit meint sie ihre leibliche Mutter, nicht die spröde zweite Frau ihres Vaters, die jeden Tag im Meer schwimmt und sich weder um den Haushalt noch um sie und ihre ältere Schwester Bolette (Sabine Haupt) kümmert. Denn Ellida hat mit ihren inneren Kämpfen genug zu tun. Sie träumt von dem amerikanischen Seemann, mit dem sie sich vor zehn Jahren symbolisch vermählt hat. Daß er zurückkehrt und sie zu sich holt – davor fürchtet sie sich, und danach sehnt sie sich.

Als Ellidas Träume wahr werden, stürzt sie in schwere Gewissenskonflikte und öffnet sich endlich ihrem Mann (Hans Kremer). Langsam dringen Annette Paulmanns bedeutungsschwere Worte nach außen – wie durch eine dicke Nebelwand verschleiert. Betäubt wirkt ihr Spiel in dieser nebelgrauen Inszenierung. Einzig erfrischender Kontrapunkt zwischen all den Analogien und Symbolismen ist Hilde. Wo alle Protagonisten nur bedecktes Kieselgrau oder dramatisches Schwarz tragen dürfen, bekennt sie als einzige Farbe. Knallrote Schuhe trägt die freche, neugierige Göre und gibt Vaters doofer Landarzttasche einen trotzigen Tritt damit. Zum Schluß darf sie gar durch den nebulösen Dunst zu ihrer Stiefmutter dringen und sie mit einer heftigen Umarmung aus schwarzer Einsamkeit erlösen. Und Elida entscheidet sich für ein Leben in grauer Sicherheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen