■ Streik der EisenbahnerInnen gegen Brüssel: Solidarität ohne die Deutschen
Wenn alle europäischen Gewerkschaften sich so verhielten wie die der deutschen EisenbahnerInnen, gäbe es heute nicht einmal eine Diskussion über ein „soziales Europa“. Nachdem sie vor Jahren nicht gegen die Privatisierung der Bahn vorgegangen war, verhinderte die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) gestern, daß sich Deutschland am ersten Euro-Streik der EisenbahnerInnen beteiligte. Fadenscheiniger Grund: In Deutschland seien politische Streiks verboten.
In den sechs europäischen Ländern, in denen die EisenbahnerInnen gestern aktiv gegen die Liberalisierung des Schienenverkehrs streikten, gelten Deutschland und Großbritannien (das ebenfalls längst privatisiert hat und das sich gestern ebenfalls auf kleinlaute Proteste beschränkte) als abschreckende Negativbeispiele. Sowohl für die Beschäftigten der einstigen Staatsbetriebe, die sich mit der Privatisierung massiven Personaleinsparungen, sinkenden Sozialleistungen und steigendem Arbeitsdruck gegenübersehen. Als auch für die BenutzerInnen, die mit Streckenstillegungen, Wartungspannen, Verspätungen, Unfällen und Preisanstiegen konfrontiert sind.
Der gestrige Streik war der erste internationale Gewerkschaftsprotest gegen eine Richtlinie aus Brüssel. Das allein ist schon eine neue Qualität der europäischen Gewerkschaftszusammenarbeit, die sich bislang fast ganz auf Funktionärsgespräche beschränkte. Zusätzlich war der gestrige Streik aber noch der erste europäische Protest gegen die Angriffe auf ein altes kontinentales Prinzip, das heute vielfach bedroht ist: der öffentliche Dienst.
Öffentlicher Dienst bedeutet: Zugang für alle – unabhängig von sozialer, geographischer oder sonstiger Herkunft. Genau dieses Prinzip, das in Europa eine weltweit beneidete Mindestversorgung geschaffen hat, gerät mit Liberalisierungen, wie sie jetzt Verkehrskommissar Neil Kinnock plant, in Gefahr. Daß neuerdings mehrheitlich sozialdemokratische Regierungen an der Liberalisierung des europäischen Marktes arbeiten, macht die nicht gerechter. Im Gegenteil: Für eine Mehrheit von Beschäftigten und BenutzerInnen wird der Zugang schwieriger werden.
Die meisten europäischen Gewerkschaften – sozialdemokratische inklusive – haben das kapiert. Bloß ein paar Bürokraten in deutschen Einzelgewerkschaften fehlt noch diese Einsicht. Dorothea Hahn
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