„My Name is Angelene“

Ländlich, glücklich: Mit literarischen Figuren und Blick aufs Meer schwört PJ Harvey ihren dunklen Seiten ab  ■ Von Holger in't Veld

m einfachsten geht es wahrscheinlich mit Kurt Cobain, den kennen schließlich alle. Nehmen wir also an, diese unkorrumpierte Ikone der Au-thentizität hätte den letzten, alles entscheidenden Schritt ins Jenseits nicht getan, sondern würde jetzt akustische Songs machen, die mit „My Name Is Timothy" beginnen. Sicher, kein allzu gutes Beispiel. Aber Polly Jean Harvey ist – neben vielen anderen Dingen – vor allem eine Überlebende. Sie hat ihre eigenen Untiefen, die als Abgründe wahrscheinlich treffender bezeichnet sind, überlebt. Oder besser: Sie hat die Entäußerung eben jener Gefühle überlebt.

Gut, sie hatte nie den aus Abermillionen verkaufter Tonträger befeuerten Riesenscheinwerfer, dafür stand ihr Pranger aber in England, wo Pop tief in den Alltag hineinreicht und Intimterror selbstverständlich ist. Terror ging zunächst aber von der Anfang 20jährigen Hippietochter selbst aus, die sich über drei Platten zunehmend ästhetisiert ausgekotzt hat: eine in Text, Ton und Bild vollendete bulimische Anklage gegen die Welt (vor allem ihren männlichen Teil), wie sie so intensiv noch nicht formuliert wurde. Alles Schmerz, alles Aggression.

Die Adressaten jaulten begeistert auf: „Ja, wir sind schlecht!" „Revolution!" ,„Und diese Musik!" und wiesen PJ ihren Platz zu. Denn Erklärungsmodelle gab und gibt es von ihr nicht. Im Gegenteil geht ihr die Interpretation der sozialen oder politischen Dimension ihrer Arbeit oft zu weit. „Meinen Songs werden oft konkrete Inhalte zugesprochen, aber sie sind eigentlich nie beabsichtigt, vielmehr unterschwellig, wenn überhaupt. Messages sind ohnehin so flüchtig", sagt Polly, die distanzierte, professionelle. PJ Harvey hat neue Bilder. Abgeschminkt und ländlich hat sie die Klaustrophobie der Stadt gegen den weiten Blick getauscht.

Sie wohnt direkt am Meer. „Das Meer ist alles, was ich sehe, wenn ich aus dem Fenster gucke. Ich fühle mich sehr gefestigt dort." Dort, in der Nähe ihrer Eltern, vertieft sie sich in Songwriting und spielt mit literarischen Modellen – was sie vielleicht weniger einzigartig, dafür aber offensichtlich glücklicher macht. Keine angeklebten Wimpern mehr. Joni Mitchell statt Diamanda Galas. „Das war eine Phase von mir. Ein paar Jahre lang war ich ein großer Fan von der Dunkelheit und diesem beinahe übelkeiterregenden Gefühl beim Hören. Aber dem bin ich entwachsen, das macht mir keinen Spaß mehr." Statt dessen benennt sie positiv besetzte Überlebende als Idole: Marianne Faithful und Debbie Harry. Sie selbst hat gerade ihre erste Filmrolle hinter sich, spielt die Maria Magdalena in einer Endzeitversion der Jesus-Geschichte, weniger leidend und gebrochen als gefährlich und mysteriös. Cool Killer, das würde ihr gefallen, sagt sie und lacht: nicht viel sagen, aber verdammt gut aussehen.

„My First Name is Angelene" sind die ersten Worte ihrer neuen Platte. Das stimmt nicht. Und ist wahrscheinlich gut so.

mit Dirty Three: So, 29. November, 20 Uhr, Docks