: Monopoly in Mitte gerät außer Kontrolle
Bei der Privatisierung von Häusern der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) werden die Mieter regelmäßig übergangen. Gewinner sind einige wenige Zwischenerwerber. Aufsichtsrat ist ohnmächtig ■ Von Ulrike Steglich
Wir befragen natürlich“, lautete noch im Frühjahr die klare Antwort von Falk Jesch auf die Frage, ob bei Hausverkäufen durch die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) eventuelle Kaufinteressen der Mieter berücksichtigt werden. Daß der WBM-Geschäftsführer nicht immer beim Wort zu nehmen ist, mußten zuletzt die Mieter der Pflugstraße 9–10 in Mitte erfahren. Ihr Haus wurde verkauft, gefragt wurden sie nicht. Vor allem bei der landeseigenen WBM, so lautet nun der Vorwurf der Betroffenen, sei das kein Einzelfall.
Obwohl das Privatisierungssoll aus dem Altschuldenhilfegesetz längst erfüllt ist, setzt die WBM ihren Verkaufskurs fort. Seit einiger Zeit ist die Gesellschaft sogar dabei, sämtliche Altbauten zu veräußern, die nicht rückübertragen werden, also im Eigentum der WBM verblieben. Motto: „Altbauten sind für uns nicht rentabel.“ Auch der „Wöhlertgarten“ in der Pflugstraße 9–10 mit circa 130 Wohnungen gehört dazu. Bereits im Sommer hatten die Mieter mehrfach bei der zuständigen Bearbeiterin der WBM, Henkelmann, ihr Kaufinteresse bekundet und gefragt, ob die Eigentumsverhältnisse inzwischen geklärt seien. Die Antwort lautete „nein“.
Heute streitet Henkelmann ab, daß die Mieter vorher ihr Kaufinteresse formuliert hätten. Dabei hat ein Großteil der Mieter bereits am 15. September in einem Brief an die WBM Interesse am Kauf der eigenen Wohnungen geäußert. Zu spät. Einen Tag später – datiert auf den 14. September – erreichte die Kaufwilligen ein Brief der WBM mit der Mitteilung, daß der Komplex bereits zum 10. September verkauft worden sei – an die Duisburger Immobilien-Bau-Contor (IBC). Einzelfall oder nicht?
Die IBC ist ein guter Kunde der WBM. Bereits 1995 erwarben die Duisburger im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes als sogenannter Zwischenerwerber WBM- Häuser. Anfang 1996 waren das bereits über 800 von insgesamt 2.400 Wohnungen, die privatisiert werden mußten. Die Mieterberatung im Auftrag der WBM übernahm dabei ausgerechnet die „CT- Projekt- und Bauträgergesellschaft“ – eine Schwestergesellschaft der IBC.
Zu den Verkäufen der WBM an die IBC gehörten damals nicht nur Häuser in der Holzmarktstraße, sondern auch die Invalidenstraße 134–143, deren meist ältere Mieter nun über massive Schikanen bei der Modernisierung durch die IBC klagen. Die dortigen Wohnungen sollen als Eigentumswohnungen vorwiegend an Kapitalanleger verkauft werden – und leere Wohnungen verkaufen sich bekanntlich leichter als vermietete.
Das gilt auch für die Wohnungen in der Pflugstraße: Obwohl die Mieter bereit waren, einen Kaufpreis von 700 bis 800 Mark pro Quadratmeter zu bezahlen, verkaufte die WBM nach Informationen der taz das Gebäude für einen Preis von 700 Mark pro Quadratmeter an die IBC. Dieser wiederum bot den Mietern die unsanierten Wohnungen für einen Kaufpreis von 1.200 bis 1.300 Mark pro Quadratmeter an. Gleichzeitig wurde sowohl den Mietern als auch Dritten das Angebot unterbreitet, die sanierten Eigentumswohnungen zum „Vorzugspreis“ von 3.000 Mark pro Quadratmeter zu kaufen. Entscheidungsfrist für die Mieter: eine Woche. Ein Mieter zitiert den WBM-Geschäftsführer Schmidt: Man solle doch ruhig für 3.000 Mark kaufen – hinterher könnten die Mieter doch „für 3.700 Mark an Bonner Beamte weiterverkaufen“.
Eine Preisklasse höher liegt der Fall der Häuser Reinhardtstraße 15–17/Am Zirkus 2–3. Hier veräußerte die WBM an die „G + R Altbausanierung“. Auch Glotzbach, einer der Gesellschafter, ist ein alter Bekannter der WBM: Früher war er Gesellschafter der MM Grundstücksgesellschaft, mit der die WBM ursprünglich zusammen die lukrativen „Neuen Hackeschen Höfe“ errichten wollte. Doch die Kooperation platzte, in das Projekt am Hackeschen Markt stieg die Bassmann- Gruppe ein. Sowohl die MM als auch Glotzbach erwarben gleichwohl diverse Immobilien von der WBM. Allein die MM kaufte dieses Jahr den Schiffbauerdamm 12, die Glinkastraße 17, die Taubenstraße 51–52 und die Habersaathstraße 24–26. Glotzbach erwarb unter anderem die Marienstraße 4.
Daß die Privatisierungen nicht selten zugunsten der Zwischenerwerber erfolgen, zeigt sich vor allem in der Reinhardtstraße. Die WBM, die nach Aussage ihrer Mitarbeiterin Henkelmann „absolut zum Verkehrswert“ verkaufe, veräußerte das Altbaugebäudeensemble laut Mieterinformationen für etwa 1.050 Mark je Quadratmeter an Glotzbach – der es wiederum sowohl den Mietern als auch Dritten über die „Dr. Lübke Immobilien“ für 6.240 Mark pro Quadratmeter saniert anbietet.
Auch in der Reinhardtstraße wurde den Mietern kein Kaufangebot gemacht, obwohl diese auch hier Interesse daran hatten. Einer der Gewerbemieter hatte bei der WBM sogar selbst Antrag auf Investitionsvorrang gestellt, war aber mit Verweis auf einen schon gestellten Antrag abgewiesen worden. Der Antrag war ohnehin nicht mehr notwendig, da der WBM selbst das Gebäude zugeeignet wurde.
Als die Jewish Claims Conference dagegen Widerspruch einlegte, so der Mieter, habe die WBM sofort mit Glotzbach einen „schwebend unwirksamen“ Kaufvertrag abgeschlossen. Für Eike Becker, der im Haus ein Architekturbüro betreibt, ist klar: „Für den Kaufpreis müßte man hier keine Luxusmodernisierung machen. Der Erwerber versucht, über immense Abschreibungen das Geschäft seines Lebens zu machen. Das ist ein reiner Spekulant.“ Laut Becker laufen jetzt schon die potentiellen Käufer durchs Haus, die Maklerfirma habe ihm mitgeteilt, „das Projekt geht ab wie eine Rakete“.
Sowohl in der Reinhardtstraße als auch in der Pflugstraße fragen sich die Mieter nun, wie das Gebaren der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft eigentlich mit der „Berliner Eigentumsoffensive“ des Senats zusammenpaßt, die vor allem die Eigentumsbildung bei Wohnungsmietern vorsieht. Die Mieterinitative der Pflugstraße wandte sich daher an die Bezirksverordnetenversammlung Mitte. Baustadtrat Thomas Flierl (PDS) und CDU-Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU) erreichten nun wenigstens, daß am heutigen Donnerstag in der Kongreßhalle eine Mieterversammlung zusammen mit der WBM und der IBC durchgeführt wird. Doch auf die Frage der Mieter, ob der Aufsichtsrat der WBM nicht solche Verkäufe kontrollieren müsse, winkt Aufsichtsratmitglied Zeller nur ab: „Wir haben zwei bis drei Sitzungen im Jahr, und da werden wir mit Aktenbergen zugeschlagen.“ Einzelverkäufe könne man dabei nicht prüfen.
Und WBM-Geschäftsführer Falk Jesch antwortete in der Vergangenheit auf die Nachfrage, warum dann Mietern nachweislich kein Vorrangangebot unterbreitet würde, lediglich: „Ernsthaft: Meinen Sie denn, daß es Sinn gehabt hätte, sie zu fragen? Hätten sie gekauft? Bestimmt nicht.“
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