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Triumph in der Bowlinghalle

Vom Paar, das sich nicht küßt: Vincent Gallo ist nicht nur der Hauptdarsteller, sondern auch der Autor, Regisseur, Filmmusiker und Sänger von „Buffalo 66“  ■ Von Brigitte Werneburg

Vor Jahren, so war da und dort zu lesen, hatten ihm seine Eltern prophezeit, daß aus ihm nie ein Schauspieler würde. Er sei einfach zu häßlich. Sie hatten recht — und trotzdem lagen sie am Ende völlig falsch. Vincent Gallo ist tatsächlich kein Schauspieler, jedenfalls kein guter, und doch ist er nun nach Rollen bei Abel Ferrara, Aki Kaurismäki, Claire Denis und zuletzt Kiefer Sutherland ein neuer Star des amerikanischen Kinos. Vincent Gallo sieht auch nicht besonders gut aus. Gleichwohl heuerte Calvin Klein den mageren Typen, der ein wenig Charles Manson ähnelt, als Model für seine CK-Parfum-Kampagne an. Was Gallo so attraktiv macht, ist seine — man kann es nicht anders sagen — nachgerade bestürzende Aufrichtigkeit. Dieser Mann kommt glücklicherweise aus seiner Haut nicht heraus.

Mit dieser Aufrichtigkeit hat sich Gallo jetzt an seinen Eltern gerächt. Freilich ist seine Rache, der Film „Buffolo 66“, auch eine Hommage. Und das macht die Sache kompliziert. Es geht um die Liebe, im Leben wohl genauso wie im Film. Für Gallo und sein Alter ego Billy Brown ist sie eine trostlose Angelegenheit. Sie hängt mit einem tristen Elternhaus zusammen, das Billy Brown im wahrsten Sinne des Wortes in den Ruin trieb. Nur deshalb, weil auch er einmal an das glauben will, was das Leben seiner Mutter (Anjelica Huston) so sehr beherrscht, daß für ihren Sohn keine Aufmerksamkeit mehr übrigbleibt, setzte er zehntausend Dollar auf den Super-Bowl-Sieg der Buffalo Bills, das Footballteam seiner Heimatstadt. Als ihn aber Scott Wood mit seinem letzten Schuß versiebte, konnte Billy den Buchmacher (Mickey Rourke) nicht bezahlen. Und weil der ihn daraufhin erpreßte, saß er schließlich fünf Jahre im Gefängnis ab, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat.

Die Liebe hängt weiter mit Mädchen zusammen, die für Billy Brown alle „Wendy Balsam“ heißen. So wie sein Kindergarten- und High-School-Traum, an den er sich niemals rantraute und die ihm umgekehrt ausrichten ließ, sie verbiete ihm, sie weiterhin ständig anzustarren. Wenn also die Mädchen nie etwas von Billy Brown wollten, so ist doch klar, daß sie immer was von den Jungs wollen. Mädchen wollen zum Beispiel Jungs anlangen und womöglich küssen. Aber Billy Brown stellt sich vor, daß er und Layla (Christina Ricci) ein Paar sind, „das sich nicht berührt!“

Trotz solch verzweifelter Komik erscheint die Geschichte von Billy, dem verklemmten Unglückswurm, der ständig auf der Suche nach einer Toilette ist, weil er sich nur dort, am besten hermetisch abgeriegelt, zu pinkeln traut, erst einmal nicht abendfüllend. – Würde sie nicht so eindringlich vorgebracht. Weil ihm nie jemand zuhörte, wiederholt Billy Brown ständig seine Sätze. Nicht einmal, sondern dreimal. Das nervt enorm, aber man versteht, daß er sie am liebsten, wie beim militärischen Appell, von der anderen Seite wiederholt hörte. Leyla, das Mädchen, das er — kaum aus dem Knast entlassen — aus der Steptanzschule entführt, um sie seinen Eltern als seine Frau vorzustellen, kann er tatsächlich so einschüchtern, daß sie es tut. Aber Wiederholungen haben ihre eigenen Wirkungen, und so beginnt Layla Billy, ihren „wunderbaren Ehemann“, tatsächlich zu lieben. Zu ihrem Glück, genauer aber ihrem Unglück, ist Billy ja nur eine extreme Version von Jedermann. Erbarmen mit den Männern: Damit kennt sich Layla aus. Sie weiß, wann sie am besten schweigt, sie weiß, daß ihr Aufbegehren gegen seine Beleidigungen nichts nutzt, sie weiß, ihre Waffen sind Rücksichtnahme und Beharrlichkeit. Christina Ricci besticht als Layla. Mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit setzt sie ihre dralle Figur mit gegen den spirligen Körper Gallos und seine steifen Bewegungen ein. Und siegt.

Es ist mit Sicherheit ein Pyrrhussieg, denn wie soll Billy Brown aus seiner Haut schon rauskommen? – Und trotzdem, es ist ein wahres Happy-End. Billy, der so viel Angst vor ihrer Zuneigung, ihrer Berührung, ihrem und seinem Körper hat, will sich lieber umbringen, als der Verführung nachzugeben. Allerdings nicht ohne zuvor Scott Wood zu erschießen, also den Spieler (und nicht den Buchmacher), der ihm vermeintlich das Leben versaute. Als er die Pistole zieht, erlebt Billy freilich eine Erleuchtung, und er entscheidet sich anders. Man muß es gesehen haben, wie er plötzlich kapiert. Wie er sich zum ersten Mal eine Chance gibt. Wie er sich sicher ist. Wie er glücklich ist.

Vincent Gallo hat das Drehbuch zu „Buffalo 66“ geschrieben, er ist der Regisseur und Hauptdarsteller seines Films. Ja, er wird im Abspann sogar als Filmmusiker und Sänger aufgeführt; wie übrigens auch Vincent Gallo senior – das ist die Hommage. Er leiht nämlich Billy Browns kaltem, schweigsamen, nur hin und wieder zornig aufbrausenden Filmvater Ben Gazzara seine Stimme, wenn dieser für seine süße Schwiegertochter Frankie Boys „Fools Rush In“ singt; völlig unvermittelt und dramaturgisch nicht wirklich gerechtfertigt. Der Film hat viele solcher eigentlich holprigen Stellen; allzu offensichtlich will er Autorenfilm sein, „art movie“, wie die Amerikaner das nennen, Godard und Gus Van Sant zusammenbringen. Aber, wie gesagt, das ist es nicht, was überzeugt. Es ist dann schon eher die schlicht abgefilmte, kalte, heruntergekommene frühere Industriestadt Buffalo. Sein Elternhaus, das kahle Hotelzimmer, in dem Billy und Layla landen, oder die schäbige Stripperbar des Footballstars Wood. Es ist die gänzlich unversnobte, popkulturfreie Welt, in der Gallo seinen Helden Billy plaziert, die trotz ihrer Tristesse Freiheit verheißt, aufatmen läßt: Dieser Typ hat kein Problem mit Nike-Turnschuhen, er weiß gar nicht, was das ist. Überhaupt besitzt „Buffolo 66“ die unschlagbare Überlegenheit des hervorragenden No-name-Produkts, das man einfach liebt, auch wenn man damit keine Statuspunkte einfährt.

Wie schon der Titel sagt, geht es in „Buffalo 66“ durchaus um die Leidenschaft des Fans. Aber sie ist keine dandyeske Kunst der Lebensführung, sondern eine klägliche, existentielle Angelegenheit. Nur einmal gesteht ihr Gallo eine beklemmende Großartigkeit zu: in der Bowlinghalle, in der Billys Spind während all der Jahre, die er im Gefängnis verbrachte, unangetastet blieb. Wo er spielt, als sei er gestern das letzte Mal da gewesen. Wo er triumphiert. Was er mit einer erbarmungswürdig mickrigen Geste signalisiert, die wieder einmal in seinem gehemmten Körper halb steckenbleibt. Aber: „Wenn ,Buffalo 66‘ ein Versagen an Ausdrucksfähigkeit ist“, schrieb Dale Peck in Artforum, „dann ist er ein Triumph an Ausdruckskraft.“

„Buffalo 66“. Regie: Vincent Gallo. Mit Christina Ricci, Vincent Gallo, Ben Gazarra, Anjelica Huston u.a., USA 1997, 110 Min.

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