: Kurzer Abgang in Ankara
Das türkische Parlament entzieht dem durch Korruptionsvorwürfe belasteten Regierungschef Mesut Yilmaz mit einer deutlichen Mehrheit das Vertrauen ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Zum dritten Mal mußte gestern der Vorsitzende der türkischen Mutterlandspartei, Mesut Yilmaz, vorzeitig den Sessel des Ministerpräsidenten in Ankara räumen. Von insgesamt 528 Abgeordneten stimmten 314 gegen ihn und nur 214 für die amtierende Regierung. Mit 17 Monaten im Amt hat Yilmaz allerdings dieses Mal einen persönlichen Rekord aufgestellt.
Der Mißtrauensantrag war von der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP) eingebracht worden, die bislang die Regierung toleriert hatte. Für den CHP-Vorsitzenden Deniz Baykal war eine Korruptionsaffäre um den Verkauf der staatlichen Türkbank der Anlaß, der Regierung die Unterstützung seiner Partei zu entziehen. Dabei ging es darum, daß Yilmaz den Verkauf der Bank an einen Geschäftsmann forciert hatte, dem enge Mafiakontakte vorgeworfen werden.
Yilmaz war im letzten Jahr an die Regierung gekommen, nachdem der Islamist Necmettin Erbakan auf massiven Druck des Militärs – viele sprachen von einem kalten Putsch – zurücktreten mußte. Bereits bei seiner Vereidigung hatte Yilmaz zugesagt, sich nach der Verabschiedung einiger wichtiger Gesetze dem Wählervotum zu stellen. Das Parlament hat sich schon vor Wochen auf Neuwahlen im April kommenden Jahres festgelegt. Mesut Yilmaz plädiert nun dafür, Neuwahlen noch etwas früher abzuhalten und nur noch eine geschäftsführende Regierung zur Vorbereitung der Wahlen einzusetzen.
Staatspräsident Süleyman Demirel wird jetzt mit den Chefs der einzelnen Parteien sprechen und anschließend entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Laut Verfassung haben die im Parlament vertretenen Parteien 45 Tage Zeit, um eine neue Koalition zu bilden. Die in den letzten Tagen als wahrscheinlichste Variante gehandelte Lösung der Krise ist eine Regierung unter Führung des jetzigen Vize-Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Linken (DSP), Bülent Ecevit, die von der Mutterlandspartei (Anap) und der Partei des Rechten Weges (DYP) getragen wird. Beide sind bürgerlich rechtsorientiert.
Am Montag hatten im Parlament beide Parteien ihre jeweiligen Vorsitzenden Mesut Yilmaz und Tansu Çiller davor bewahrt, sich in Untersuchungsausschüssen wegen massiver Korruptionsvorwürfe verantworten zu müssen. Der wechselseitige Persilschein, den viele Abgeordnete nur mit zusammengebissenen Zähnen ausgestellt haben, gilt als Basis für die kommende Zusammenarbeit.
Die mit Yilmaz persönlich zutiefst verfeindete Tansu Çiller hat allerdings gestern diesen Deal wieder in Frage gestellt. Möglich ist deshalb auch, daß Staatspräsident Demirel ein Technokratenkabinett einsetzt und möglichst schnell wählen läßt.
Die Stimmung in der türkischen Bevölkerung spricht allerings nicht für diese Variante. Die meisten wollten weder den gestrigen Regierungssturz noch wollen sie Neuwahlen. Es komme sowieso nichts anderes heraus als bisher, vermutet die Mehrheit. Gerade angesichts der angespannten Situation im Gezerre um den Verbleib des PKK-Chefs Abdullah Öcalan und einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise drängen Industrie, das Militär und der größte Teil der Bevölkerung vor allem auf Stabilität.
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