: Sonnenblumen statt Zimmernummern
AK Ochsenzoll eröffnet Stationen für psychisch kranke Senioren ■ Von Heike Haarhoff
Als das erste Geld verschwand, waren der Sohn und die Schwiegertochter von Inge Schröder* noch alarmiert. Das Zimmer im Altenheim, das die 82jährige bettlägerige Frau erst vor Wochen bezogen hatte, wurde auf den Kopf gestellt, Pflegepersonal verdächtigt. Dann Aufatmen. Die alte Frau hatte ihr Portemonnaie bloß verlegt.
Inge Schröder ging es jedoch immer schlechter. Ein Nachbar sehe sie immer so komisch an beim Essen. Nachts höre sie schreckliche Geräusche. Als sie dann noch einen Pfleger des Diebstahls ihrer Unterwäsche bezichtigte und behauptete, Spione des KGB hätten ihre Kommode durchsucht, stand für ihre Verwandtschaft fest: „Inge spinnt.“
Sie ist krank, diagnostiziert Claus Wächtler, und zwar schwer. Inge Schröder leidet unter paranoiden Angstzuständen. Der Arzt, der im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll (AKO) die Geronto-psychiatrie leitet, wie die Abteilung heißt, wo psychisch kranke, ältere Menschen behandelt werden, warnt: Psychische Krankheiten von über 65jährigen werden häufig unterschätzt oder nicht erkannt.
„Das liegt einerseits daran, daß die Hausärzte häufig zu wenig wissen über ältere psychisch kranke Menschen“, sagt Wächtler. Außerdem sei bei SeniorInnen oft schwer einzuschätzen, ob das schlechte Befinden auf rein körperliche oder auf psychische Störungen zurückzuführen sei. „Wenn jemand schlecht hört oder geistige Defizite hat, verstärkt das oft die Alters-Paranoia.“ Weil das nicht erkannt werde, würden häufig Beruhigungsmittel statt Anti-Depressiva verabreicht.
Das soll sich ändern. Das AKO hat in dieser Woche nach mehrmonatigem Umbau zwei neue Stationen der gerontopsychiatrischen Abteilung eingeweiht. Insgesamt 128 Betten stehen für SeniorInnen mit Depressionen, Demenzen, wahnhaften Erkrankungen, Angststörungen und Suchtproblemen bereit. „Das ist bundesweit einmalig“, so Wächtler. Bisher wurden ältere und jüngere psychisch Kranke zwar auch getrennt voneinander behandelt. Doch die Räume für SeniorInnen waren weder zweckmäßig noch sonderlich großzügig geschnitten. Beim jetzigen Umbau wurde darauf geachtet, daß viel Licht in die Zimmer fällt. Denn so banal es klingen mag, Helligkeit erleichtert die Orientierung und bessert die Stimmung. Vor den Türen wurden Bilder aufgehängt, weil ältere Menschen sich Zahlen häufig schlecht merken können. „Wenn ich weiß: Ich wohne bei der gelben Sonnenblume, ist das einfacher“, erklärt Wächtler.
Ein Trakt wurde nur für Frauen eingerichtet, die geschlagen oder mißhandelt wurden oder unter sonstiger Gewalt litten. Sie bräuchten Schutzräume, in denen sie nur von Ärztinnen und Pflegerinnen behandelt werden, erklärt die Psychiaterin Hildegard Neubauer.
Durchschnittlich 47 Tage bleiben die PatientInnen im Krankenhaus. Doch mit der Entlassung fangen oft genau die Probleme wieder an, die man besiegt zu haben glaubte. Inge Schröder beispielsweise geht es inzwischen zwar wieder besser. Doch je weniger persönlichen Kontakt sie hat, desto größer ist das Risiko eines Rückfalls in die Angstzustände. „Das ist ein gesellschaftliches Problem“, weiß der Arzt Claus Wächtler. „Deswegen stellt sich uns die Frage: Wie können wir vernetzte Versorgungsangebote herstellen?“
Bis er die beantwortet hat, dürften ihm allerdings selbst erste grauen Haare gewachsen sein.
*Name geändert
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