: Im Zweifelsfall auch mit dem Teufel reden
Die erneuten Bombenangriffe von Kämpfern der Hisbollah lösen in Israel eine Debatte um einen Rückzug aus dem Südlibanon aus. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kürzt seine Europareise ab ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Sieben israelische Soldaten sind in den vergangenen zehn Tagen im Südlibanon getötet worden. Zumeist durch Minen oder Bomben, die die islamische Widerstandsorganisation Hisbollah gelegt hat. Dichter Nebel hat es ihr sogar ermöglicht, Bomben direkt an der israelischen Grenze zu plazieren. Israelische Militärs vermuten, daß die Hisbollah Hilfe und Information von Einwohnern der israelisch besetzten Sicherheitszone im Südlibanon erhält. Mehrere libanesische Einwohner wurden verhört.
Obwohl in diesem Jahr „erst“ 20 Soldaten und ein israelischer Zivilist im Libanon ums Leben kamen – im vergangenen Jahr waren es 38 –, hat der Blutzoll der vergangenen Tage zu einer neuen Debatte über Israels möglichen Rückzug aus dem Libanon geführt. Israels Ministerpräsident Netanjahu kürzte seine Europatour ab, um mit Kabinett und Militärführung nach neuen Wegen zu suchen, den Angriffen von Hisbollah entgegenzutreten. Trotz neuer Taktiken ist es der israelischen Armee in den vergangenen Monaten nicht gelungen, Hisbollah in die Schranken zu weisen, auch wenn die islamische Organisation bei Gefechten und Bombardierungen in diesem Jahr fast 60 Kämpfer verloren hat.
Prinzipiell hat die Regierung Netanjahus im vergangenen Jahr der UN-Resolution 425 zugestimmt, laut der sie sich bedingungslos aus dem Libanon zurückziehen muß. Israels Regierung verlangt allerdings libanesische Sicherheitsgarantien, daß keine Angriffe mehr auf Israels Nordgrenze erfolgen. Doch unter syrischem Druck ist weder die Hisbollah noch die libanesische Regierung bereit, das zu garantieren.
Ohne Zweifel nutzt Syrien den Krieg im Südlibanon noch immer als Druckmittel gegen Israel, um eine Räumung der von Israel besetzten Golan-Höhen zu erreichen. Erstmals deutete Netanjahu in London an, daß auch seine Regierung bereit sei, über die Golan- Höhen zu verhandeln. Israelische Regierungskreise vermuten hinter den Hisbollah-Angriffen in den vergangenen zwei Wochen deshalb syrischen Druck. Trainiert werden die Kämpfer der Hisbollah nach israelischen Angaben von iranischen Revolutionswächtern. Deren Arbeit habe an Professionalität gewonnen, die sogar israelischen Eliteeinheiten zusetze.
Netanjahu erklärte nach dem Tod zweier Elitesoldaten in der Nacht zum Freitag: „Sobald wir eine Möglichkeit gefunden haben, unsere Armee zurückzuziehen, ohne die Sicherheit und Verteidigung unserer Dörfer und Städte an der Nordgrenze und die Sicherheit unserer Verbündeten aufs Spiel zu setzen, werden wir uns aus dem Südlibanon zurückziehen.“ Der Rückzug ist, quer durch alle politischen Lager in Israel, umstritten. Entschieden wurde bislang nur, daß Kabinett und Armee die Sicherheitslage überdenken.
Während der Außenpolitiker der Arbeitspartei, Jossi Beilin, für einen einseitigen israelischen Rückzug plädiert, ist sein Parteikollege Efraim Sneh strikt dagegen, weil dies Schwäche offenbare und der Hisbollah das Vorrücken an Israels Nordgrenze ermögliche. Der Likud-Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtiges und Verteidigung sprach sich gar für Angriffe auf die syrischen Truppen im Libanon aus. „Wir müssen ihnen klarmachen, daß immer, wenn israelische Soldaten getroffen werden, wir syrische Soldaten und Ziele im Libanon angreifen werden.“ Ran Cohen von der linksliberalen Meretz-Partei erklärte dagegen, daß es die Pflicht jeder Regierung sei, zu verhandeln, wenn Soldaten des Landes getötet würden, auch wenn dies bedeute, „mit dem Teufel zu reden“. Nach seinem Antritt als Oberbefehlshaber der israelischen Armee hatte Generalleutnant Shaul Mofaz im Juli erklärt, daß er die Fähigkeit der Armee zur Vergeltung und Verteidigung verbessern werde. Doch seine offenbar gescheiterte Strategie dürfte jetzt überprüft werden. Vieles spricht dafür, daß Israels Präsenz im Libanon zu Ende geht. Über den Preis muß noch mit Syrien verhandelt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen