: Der Prophet der Billig-Jobs
Peter Dussmann, Europas größter Dienstleister, begann mit einem Putzservice für Junggesellen in München und gilt heute als einer der einflußreichsten Männer Berlins. Sein Credo: Die Deutschen müssen lernen zu dienen. Arbeitsgesetze sind ihm ein Dorn im Auge. Ein Porträt ■ Von Gerd Nowakowski
Wenn es um Uhren geht, wird der Mann lebhaft. Liebevoll beschreibt er die Funktionen eines aufwendig gearbeiteten Prachtstücks aus der Zeit der Französischen Revolution, als die Zifferblätter nicht zwölf Stunden anzeigten, sondern nur bis zehn zählten. Überall in seinem im Rokoko-Stil gehaltenen Arbeitszimmer und dem klassizistischen Salon nebenan stehen die Meisterwerke aus mehreren Jahrhunderten und ticken um die Wette. Warum er Uhren sammelt, begründet er ganz schlicht: „Da bewegt sich etwas.“
Der Wille, etwas zu bewegen, treibt den Unternehmer Peter Dussmann seit mehr als 36 Jahren an. Sein Ehrgeiz hat den eher kleinen Mann mit dem Vollbart in das aufwendig renovierte Schlößchen am Zeuthener See gebracht.
Das stolze Anwesen ist die Zentrale seines weltweit operierenden Unternehmens und wird zugleich als Schulungszentrum genutzt. In mehr als zwanzig Ländern arbeiten über 37.000 Menschen für die Dussmann-Gruppe: Sie putzen Moskauer Bahnhöfe und das Kongreßzentrum in Hongkong, bewachen weltweit die US-Botschaften und den Wiener Zentralfriedhof, managen Flughäfen oder sorgen im größten vietnamesischen Krankenhaus in Ho-Chi-Minh-Stadt für die Verpflegung. Im letzten Jahr hat Europas größter Dienstleister über 1,7 Milliarden Mark Umsatz gemacht, davon fast die Hälfte im Ausland.
Die Pedus-Gruppe bietet das komplette Gebäudemanagement von der Reinigung über Sicherheit und Haustechnik bis hin zum Catering. Außerdem betreibt Dussmann Kurkliniken, Rehabilitationseinrichtungen und Seniorenheime. Bereits 1999 soll der Umsatz zwei Milliarden Mark übersteigen.
Zur Marktführerschaft war es ein weiter Weg für den gebürtigen Schwaben. 1962 startete er in München mit geborgten zweitausend Mark einen Putzservice für Junggesellen. Schnell begriff er freilich, daß mit der Reinigung von Unternehmen mehr Geld zu verdienen ist. Er ersetzte das Putzen nach „Hausfrauenart“ durch eine industrielle Arbeitsteilung: Ein Beschäftigter saugt, ein anderer leert Papierkörbe, der Dritte wischt die Böden. Einen zusätzlichen Entwicklungsschub bescherte Dussmann, der mit einer Amerikanerin verheiratet ist und zwei Monate im Jahr in Kalifornien lebt, der Einstieg in den US-Markt mit seinem Vorsprung an Know-how im Dienstleistungsbereich.
Das nachhaltigste Wachstum aber verursachte der Mauerfall. Sofort ging Dussmann nach Berlin und bereitete noch unter der letzten DDR-Regierung die erste Unternehmensgründung vor. Heute ist in den neuen Bundesländern und Berlin nahezu die Hälfte seiner rund 20.000 inländischen Mitarbeiter beschäftigt. Der Geschäftsführer der deutschen Sparte, der ehemalige Ruder- Olympiasieger Michael Kirchner, stammt ebenfalls aus der DDR. Die „östliche Mentalität ist positiver als die westliche Einstellung“, urteilt Dussmann: Dort sei man freundlich, zuverlässig, arbeitsam und bescheiden – anders als im Westen, wo mehr krankgefeiert oder Urlaub genommen werde.
Im Unterschied zum satten und „abgeleckten“ München, wo er sich nach dreißig Jahren noch als Außenseiter empfand, sei Berlin offener und vorurteilsfreier. Vor allem aber: Die Stadt ist in Bewegung. Wo sich so vieles im Umbruch befindet und neue Eliten sich erst herausbilden, ist es leichter, den Hauch von Schmuddel loszuwerden, der dem Putz- und Wachdienstgewerbe mit seinen schwarzen Schafen und kriminellen Praktiken anhaftet. Ganz still hat er deshalb 1994 die Zentrale der Pedus-Gruppe nach Berlin verlegt.
Seitdem setzt der umtriebige König der Putzfrauen in Berlin seine Duftmarken und sorgt regelmäßig für Kontroversen und Denkanstöße. Bei der Grundsteinlegung seiner Firmenzentrale in der Friedrichstraße polterte er vor der versammelten Berliner Führung über die Diktatur der vom Senat veranstalteten Architekten- Wettbewerbe. Diese bescherten der Hauptstadt die immer gleichen häßlichen Büroklötze. Eberhard Diepgen vernahm es stocksauer.
Der Staatsoper unter den Linden hat der Unternehmer kürzlich zwei Millionen Mark gespendet. Er sitzt dort im Vorstand des Freundeskreises. Das Geld soll jedoch nur teilweise für künstlerische Projekte verwendet werden. Mit dem Hauptteil werden vier Vollzeitstellen finanziert, um ein professionelles Fundraising für die Linden-Oper aufzubauen. Vorbild sind die amerikanischen Theater, die einen Großteil ihres Haushalts über Spenden finanzieren.
Der Newcomer sitzt nicht nur im Kulturbereich in der ersten Reihe. Der Staubsauger-General ist im einflußreichen Beirat der Deutschen Bank Berlin vertreten und im Stifterverband der Deutschen Wissenschaft aktiv. Regelmäßiger Gast ist der parteilose Unternehmer zudem bei den Gesprächsrunden des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen, den er als überaus sachkundig schätzt. Auch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger und Volker Hassemer, langjähriger Senator und jetziger Chef des Marketing-Unternehmens „Partner für Berlin“, bewertet Dussmann als „pragmatische Leute“. Das ist ein hohes Lob aus dem Munde des Unternehmers, der Politiker nicht als Problemlöser, sondern als ein zentrales Problem der Bundesrepublik ansieht. „Es ist einfacher, mit einem Hund zu reden als mit diesen Leuten“, hat der Konzernherr einmal mit dem Selbstbewußtsein eines Menschen gegrollt, der es vom Seiteneinsteiger zum vielfachen Millionär gebracht hat.
„Dienstleistung kommt von dienen“, ist Dussmanns Credo. Bei diesem Thema kann der ruhige Mann urplötzlich lospoltern und verfällt in ein breites Schwäbisch. Dann wird der Sechzigjährige, der sich ausdrücklich nicht als politischer Unternehmer versteht, zum beinharten Ideologen. Die Deutschen müßten wieder lernen zu dienen, schimpft er. In den USA sei keiner zu stolz, andere Menschen zu bedienen. Hierzulande schleppten aus falsch verstandener Gleichheit alle ihre Koffer selbst und lehnten es ab, sich im Supermarkt die Waren an der Kasse einpacken zu lassen. Das sei eine „asoziale Denke“. Hunderttausende „einfacher Menschen“ hätten deswegen keine Chance auf einen Arbeitsplatz. Er will deshalb niedrigere Einstiegslöhne und vereinfachte Kündigungsmöglichkeiten. Ein Dorn im Auge sind ihm die bestehenden Arbeitsgesetze. Mit ihren hohen Standards werde nur erreicht, daß Unternehmer gar nicht mehr einstellen, weil es zu schwer sei, die Mitarbeiter bei Arbeitsmangel wieder loszuwerden. „Sklavenhalter mit Telefon“ hat ihn ein führender Gewerkschaftsfunktionär deshalb einmal genannt.
Seine Attacken haben dem Unternehmer kaum Sympathien in der Öffentlichkeit eingebracht. Dabei sieht Dussmann sich selber auf der Seite der Beschäftigten. Die sozialversicherungsfreien 610-Mark-Jobs seien sowohl „die Steueroase des kleinen Mannes“ als auch unverzichtbar für eine Dienstleistungsgesellschaft. In vielen Bereichen werde Arbeitskraft nur stundenweise gebraucht – das komme auch Hausfrauen entgegen. Politiker, die steuerfreie Jobs abschaffen wollen, nennt er „scheinheilig“, weil damit nur die Schwarzarbeit gefördert werde. Er selbst hat im Jahr 1997 die Zahl der 610-Mark-Jobs in seinen deutschen Unternehmen halbiert. Nur noch knapp zweitausend Menschen, hauptsächlich Putzfrauen, schaffen auf Billig-Basis, der Rest wurde in Teilzeitstellen umgewandelt. Aus schlechtem Gewissen geschah das nicht. Dussmann reagierte vielmehr auf die absehbaren politischen Veränderungen in bezug auf diese Jobs.
Der passionierte Hochsee-Segler, der jedes Jahr den Atlantik überquert („Segeln ist Freiheit“), behauptet wenig glaubhaft von sich, er wäre am liebsten ein „anonymer Mensch“. Schließlich provoziert er gern mit seinen Thesen und ist zur öffentlichen Figur geworden. Um so mehr, seitdem er auch im Einzelhandel ein neues Feld für seinen Dienstleistungs- Kreuzzug gefunden hat.
Weil der spekulativ angeheizte Bauboom in Berlin einen riesigen Leerstand bei Büroflächen hervorgebracht hat, drohte auch der 220 Millionen Mark teure Neubau des Dussmann-Verwaltungszentrums an der neuen Berliner Prachtmeile Friedrichstraße zu einer Investruine zu werden. Aus der Not machte Dussmann ein Geschäft. Er ging als gelernter Buchhändler back to the roots und eröffnete Ende 1997 auf vier Etagen sein Kulturkaufhaus mit Büchern und dem größten CD-Angebot in Deutschland. Seitdem geißelt der Literaturfreund die „unsinnigen“ Ladenschlußgesetze und die „Koalition der Faulenzer“ aus Einzelhandel und Gewerkschaften, die mit ihrer „Gruppenegozentrik“ längere Öffnungszeiten verhinderten. Das Ladenschlußgesetz trickste er aus, indem er die Beschäftigten im Kulturkaufhaus zu leitenden Angestellten mit Umsatzbeteiligung machte. Seitdem hat die Friedrichstraße eine Attraktion und Dussmann einen Ladenschluß von 22 Uhr.
Der Chef kümmert sich um die Unternehmensstrategie, öffnet die Türen zu neuen Märkten und setzt bei der Führung des Unternehmens auf Delegieren und lange Leine. Werden die angestrebten Unternehmensumsätze nicht erreicht, ist es aus mit der schwäbischen Gemütlichkeit. Zweimal entließ Dussmann das gesamte Leitungsmanagement der amerikanischen Tochter mit über fünftausend Beschäftigten. Jetzt schreibt der US-Ableger wieder schwarze Zahlen.
Derzeit setzt Dussmann auf die Märkte in Osteuropa und Asien. Dabei offenbart sich sein Pragmatismus, der keine Berührungsängste kennt, und ein Gespür, die richtigen Leute auf seine Gehaltsliste zu setzen. Bei der Ostexpansion nutzt er die vielfältigen Kontakte des ehemaligen DDR-Planungschefs Gerhard Schürer. Besondere Bedeutung hat für den Unternehmer die Bewirtschaftung des Krankenhauses in Vietnam; ein Projekt, bei dem im medizinischen Bereich mit dem Berliner Universitätsklinikum Charité kooperiert wird. Das Referenzprojekt soll als „Leuchtturm“ auf ganz Ostasien ausstrahlen, hofft Dussmann. In Osteuropa steigt der Unternehmer jetzt auch in die Produktion von Putzmitteln ein. Das Motiv ist simpel: Auf den osteuropäischen Märkten gibt es keine umweltfreundlichen und hautschonenden Reinigungsmittel; deutsche Produkte aber seien viel zu teuer, um in Rußland konkurrenzfähig zu sein.
Als der abgewählte Bundeskanzler Kohl nach China flog, war Dussmann als Mitglied der Wirtschaftsdelegation dabei. Gerade in autoritär geführten Ländern ist die Teilnahme im Troß des Kanzlers für neue Geschäftskontakte von Vorteil, hat er festgestellt. Zugleich zeigt Peter Dussmann sich immer noch verwundert, wie gering das Interesse des Kanzlers am Gespräch mit den Unternehmern war. Was der Dienstleistungsmulti von 16 Jahren Kohl-Regierung hält, beantwortet er mit dem Verweis auf die USA. Dort dürften Präsidenten höchstens acht Jahre regieren. Hierzulande sei das anders – und eine der Ursachen für die Probleme in Deutschland.
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