■ Sterbehilfe im TV: Dr. Tod arbeitet live on air
Washington (dpa) – Der Mann auf dem Bildschirm fiel zurück und sein Mund öffnete sich. „Ist er jetzt tot?“ fragte der Reporter. „Er stirbt gerade“, lautete die Erwiderung. Diese gespenstische Szene hat in den USA nicht nur die Debatten über die Sterbehilfe wieder angeheizt, sondern auch die Diskussion über die ethische Verantwortung der Medien. Denn die Szene war nicht von Hollywood gestellt, sondern Wirklichkeit. Im Fernsehstudio neben dem CBS-Reporter saß der Sterbehelfer Jack Kevorkian.
Die Katholische Kirche setzte sich an die Spitze empörter Proteste dagegen, daß sich das renommierte TV-Magazin „60 Minutes“ in Kevorkians Kampagne für „humane Euthanasie“ einspannen ließ. Aber auch in den Medien und journalistischen Fakultäten gab es kritische Stimmen. Mehrere CBS-Stationen entschieden sich, den Beitrag nicht auszustrahlen. Der Boston Globe nannte ihn in einem Leitartikel eine Schande und „einen Akt der Barbarei“. Hunderte von Zuschauern beschwerten sich nach der Ausstrahlung am vergangenen Wochenende bei CBS.
Die Verantwortlichen des Magazins verteidigten ihre Entscheidung, dem Mediziner mit dem Spitznamen „Dr. Tod“ eine Bühne zu geben. Sie hätten damit einen öffentlichen Auftrag erfüllt und die Amerikaner mit einer bedeutenden Zeitfrage konfrontiert. Da der inzwischen wegen Mordes angeklagte Kevorkian mit dem Todesvideo der Kontroverse über Sterbehilfe eine neue Qualität gab, habe es auch echten Nachrichtenwert gehabt. Quoten hätten keine Rolle gespielt, hieß es, obwohl es die meistgesehene CBS-Sendung der Woche und die erfolgreichste des Magazins der Saison war.
Es gab aber auch Verteidiger der Ausstrahlung: In der New York Times schrieb Fernsehkritiker Walter Goodmandie, Gegner wie Befürworter einer Sterbehilfe könnten es begrüßen, daß sich nun Millionen damit auseinandersetzten. CBS habe eine Berichterstattungspflicht erfüllt, der man sich nicht deshalb entziehen könne, weil es sich um schockierende Aufnahmen handele.
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