: Die Präriehexen triumphieren am Grab
Ein Meister aus Wyoming: Mit der Jackson-Pollock-Retrospektive zeigt das Museum of Modern Art in New York, wie in den 40er Jahren auch durch die eigene Ankaufs- und Ausstellungspolitik abstrakte Kunst in Amerika auf Vordermann gebracht wurde ■ Von Susanne Altmann
Der Kritiker des Wochenmagazins Village Voice zog sich geschickt aus der Affäre. Er nahm sich Case 2, einen legendären New Yorker Graffiti-Pionier, mit in die Retrospektive Jackson Pollocks im Museum of Modern Art (Moma) und zeichnete dessen rhythmische Statements auf. Die Kommentare des Sprayers – „dies sind die Hieroglyphen seiner eigenen Seele!“ – sind zwar nicht immer bahnbrechend, sie setzen den 1912 in Wyoming geborenen Pollock jedoch unversehens an eine Schnittstelle zwischen schwarzer und weißer Kulturproduktion. Tatsächlich wurde der auf Fotos überwiegend grimmig blickende Künstler bislang gern in eine Ahnenreihe mit James Dean, Marlon Brando oder gar Walt Whitman gestellt.
Während Case 2 feststellen muß, bis auf den Kartenabreißer der einzige Farbige in einer verzückten Schar weißer AusstellungsbesucherInnen zu sein, springen ihm Verwandtschaften in Energie und Attitüde zwischen seiner Kunst und der Pollocks entgegen. Wann immer allerdings der Katalog der beiden Kuratoren Kirk Varnedoe und Pepe Karmel die Auswirkungen von Pollocks Werk diskutiert, endet er mit Brice Marden, Richard Serra oder Allan Kaprow und Yves Klein.
Auch die Gesamtbreite von Pollocks eigenem Hintergrund wird in dieser ersten Retrospektive seit 1967 nur umrissen. Ihre Stärke liegt dennoch in einer streng chronologischen und umfangreichen Ansammlung von Werken, die aus der ganzen Welt herbeigeliehen wurden. Darunter gibt es frühe wie „Die Hüter des Geheimnisses“ (1943) aus San Francisco oder „Die Mondfrau“ (1942) aus dem Venedig-Guggenheim, die in ihrer experimentellen Nähe zu Matisse und Picasso erklären, was schließlich Peggy Guggenheims Interesse erweckte und Pollock 1943 in deren legendäre Galerie „Art of This Century“ einließ.
Mit der Arbeit „Mural“ (1944) von immerhin 2,43 mal 6,03 Metern gab ihm die Sammlerin eine Sisyphusarbeit für ihr Apartment in Auftrag: ein transportables Wandgemälde, das in relativ kurzer Zeit und mit couragiertem Pinselschlag die späteren „Allover“- Bilder einläutete. Rhythmische Arabesken und nur noch sparsame figurative Anspielungen zeigen hier, wie inspirierend, eingestanden oder nicht, Pollocks Einfluß auf Kollegen der New York School wie Willem De Kooning gewirkt haben muß. Dessen ähnliche Versuche, etwa das grandiose „Excavation“ (1950), datieren wesentlich später.
Zu diesem Zeitpunkt stand Pollock, der 1929 in einem Jugendbrief an den bewunderten Maler- Bruder Charles noch erhebliche Zweifel am eigenen Talent und den so unspezifischen wie vehementen Wunsch nach Künstlertum bekundet hatte, schon auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Skizzenbücher und bemüht inhaltsschwere Reflektion aus den frühen Zeiten zeugen indes von einem verbissenen Kampf. Dabei verleitete ihn das Studium bei dem Realisten Thomas Hart Benton (1889–1975) noch zum Festhalten an akademischen Vorlagen und erschwerte den Anschluß an die Moderne erheblich. Solche widersprüchlichen Ansätze und die Adaption fremder Stile gehören eben auch bei Pollock zum Jugendwerk, als nötige Zeichen der Suche und Selbstfindung.
Doch wehe, ein sogenannter arrivierter Künstler gelangt nach Jahren wieder an einen solchen Orientierungspunkt. Oder schlimmer noch, er kann sich durch vorzeitiges Ableben nicht mehr erklären: Dann erklärt die Interpretation sein plötzliches und eher gewaltsames Hinscheiden als logische Folge einer Schaffenskrise und damit sämtliche Werke im Umfeld mehr als Symptome denn als Ergebnisse einer Suche. Pollocks Arbeiten aus seinen letzten Jahren werden am Moma streng quantitativ mit dem irreversiblen Verebben seiner Schöpferkraft nach dem immensen Erfolg der „drip paintings“ und zunehmenden Depressionen bewertet. Suggestivsätze wie dieser stehen als museumspädagogisches Verdikt an der Wand: „In seinen letzten Jahren war Pollock vom Alkohol beeinträchtigt und als Künstler zunehmend unproduktiv. Während die früheren Phasen seines Schaffens von einheitlichem Stil geprägt waren, schien nun jedes Bild ein separates Experiment zu sein.“
Die Falle des Ruhms der Tröpfelbilder und der darauf immer wieder triumphierenden Präriehexen schnappt also noch über seinem Grabe zu. Und statt Werke wie die zaghafte Monochromie von „Die Tiefe“ (1953) oder „Duft“ (1953–55) als Wegweiser auf einer leider zu früh abgebrochenen Reise zu betrachten, wird Pollocks betrunkener Unfalltod im Jahr 1956 als Krönung seiner Biographie gehandelt und den letzten Bildern gerade noch soviel Aufmerksamkeit geschenkt, als nötig ist, sie als Niedergang zu definieren.
Der unschuldige Versuch, Jackson Pollocks Kunst frei von der Bürde seiner forciert spektakulären Biographie lesen zu wollen, wird freilich schon im Eingangsbereich vereitelt, wo der tragische Held lässig-düster vor einem „drip painting“ posierend von der Wand grüßt. Dieses Foto leitete 1949 den Artikel „Is he the greatest living painter in the United States?“ ein, der in Life veröffentlicht wurde. Es illustriert die Behauptung, Pollock habe sein Medienimage wenn nicht forciert, so doch wenigstens genossen – zumindest als sein Produktionsausstoß in jenem „einheitlichen Stil“ noch vor dem unbarmherzigen Licht der Öffentlichkeit bestehen konnte.
Das im Hintergrund abgebildete Werk „Summertime: Number 9A, 1948“ ist im Original ein leichter, fast lyrischer Reigen, in dessen über acht Meter langem Netzwerk mit dem Pinsel scharf definierte, gelbe, rote und blaue Farbinseln eingetragen wurden. Pollock versuchte also bereits hier schon wieder die Absolutheit seiner Drip- Technik zu relativieren.
Sicherlich sind es derlei Phänomene, die Case 2 meinte, wenn er Verwandtschaften zur Graffitikunst attestiert. In den Räumen, wo dann nach behutsamer Vorbereitung mit Zeichnungen und Kleinformaten das Action-painting in einem Feuerwerk explodiert, kippt die Freude am Sehen zwischen so hoch aufgeladenen Werken wie „One: Number 31, 1948“, „Autumn Rhythm: Number 30, 1950“ oder „Number 32, 1950“ irgendwann um. Weniger hätte durchaus mehr sein können, ohne der Schau zu schaden. Schließlich handelt es sich hier nicht um die Präsentation eines aufgeregten Debütanten, der alles auf eine Karte setzt.
Das Museum of Modern Art wagt erwartungsgemäß keine kuratorischen Experimente und bringt bei dieser streng linearen Konzeption wirkliche Aufschlüsse nur en passant. Sollte die akribisch nachgebaute Scheune, in der Pollock 1947 die ersten Leinwände auf dem Fußboden bearbeitete, einen heuristischen oder didaktischen Zweck verfolgen, dann den, daß die Dramaturgie der Mitmach-Ausstellung nun auch ins Moma Einzug gehalten hat. Brandspuren, die erhärten könnten, daß Action-painting qua göttlicher Blitzinspiration in die Kunstwelt kam, finden sich am Schober aber nicht.
Dafür verstärken Hans Namuths berühmte Stills aus seinen 1950 entstandenen „Jackson Pollock paints a picture“-Filmen die weihevolle Atmosphäre, die auch bislang die reguläre kapellenartige Präsentation des Pollock-Werks ein Stockwerk tiefer umgab. Diese Art sakral zugespitzter Installation findet sich auch in der Clyfford- Still- und in der Mark-Rothko-Abteilung des Metropolitan Museums wieder. Hier weht einen der Atem der Kunstgeschichte absichtsvoll an – und daß der mitunter nach Wrigley's Spearmint und Jim Beam riecht, verstärkt nur seine Gültigkeit.
Die Liste der Retrospektiven an New Yorks großen Museen aus den letzten drei, vier Jahren liest sich wie eine sorgsam dirigierte Vorbereitung auf den absoluten Höhepunkt Jackson Pollock. Ob beabsichtigt oder nicht, nach Cy Twombly im Moma, De Kooning und den Pollock-Skizzenbüchern im Metropolitan, Franz Kline und gerade Mark Rothko im Whitney Museum kann kaum noch etwas kommen, was den Ruhm US-amerikanischer Malkunst erschüttern oder vergrößern könnte.
Mit dem fremd- und eigenbestimmt zum Rebellen stilisierten Künstler kann das Moma nachdrücklich seine eigene Rolle feiern: Die Hellsichtigkeit seiner Kuratoren vom Format eines Alfred H. Barr Jr. läßt es heute zu, Entwicklungen Pollocks mühelos an Meilensteinen der Sammlung zu messen und seinen Platz gleich vor Ort in der Moderne zu verankern. So kamen sowohl Matisse-Gemälde als auch Picassos „Demoiselles d'Avignon“ bereits um 1939 ins Haus, und auch automatistische Exempel des Surrealismus von Miró oder Matta standen dem jungen Maler, der 1930 von der Westküste nach New York übersiedelte, zur Verfügung.
Um dann noch an Ort und Stelle zu sichern, wie die mexikanischen Wandmaler, besonders Orozco und eben Siqueiros, in den linksbewegten Dreißigern ihren Stempel in Pollocks Portfolio drückten, bedarf es lediglich eines kleinen Umwegs im Museum. Diese Möglichkeiten machen sowohl die gefährliche Selbstgefälligkeit als auch den großen Reiz dieser Retrospektive des amerikanischen Wunders Jackson Pollock aus.
Bis 2. Februar 1999, Museum of Modern Art, New York; danach vom 11. März bis 6. Juni 1999, Tate Gallery, London. Der Katalog kostet 35 Dollar
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