: „Einigen Museen geht es an die Substanz“
■ Anja Heuß fahndet nach Kunstwerken für die Jewish Claims Conference. Die Organisation erhebt im Namen von Holocaust-Opfern Anspruch auf Entschädigung oder Rückgabe jüdischen Eigentums
taz: Wie wird man Kunstdetektivin und wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Anja Heuß: Angefangen habe ich vor etwa sechs Jahren. Durch Zufall und ohne historische Vorkenntnis stolperte ich über die Vorgänge um eine Bibliothek aus Italien, die sich in der Universitätsbibliothek in Mainz befand. Es handelte sich um Frühdrucke und wertvolle alte Bücher aus dem Privatbesitz einer Familie. Die Bibliothek versuchte den Fund zu vertuschen. Daraufhin schaltete ich die Presse ein und die Bücher konnten sehr schnell restituiert werden.
Sie forschen im Auftrag der Claims Conference. Welche Arbeitsschwerpunkte haben Sie?
Es begann mit einem Auftrag der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen. Dort recherchierte ich etwa drei Jahre zum Thema Kunstraub der Nazis in der Sowjetunion. Daran schloß sich ein weiterer Auftrag von der Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern an. Für die Jewish Claims Conference suche ich außerdem seit mehreren Jahren Kulturgüter in öffentlichen Institutionen der ehemaligen DDR.
Gleich bei Ihrem ersten Fall mußten Sie die Erfahrung machen, daß die Institutionen über Ihre Arbeit nicht sonderlich erfreut waren.
Natürlich nicht. Die Museen befürchten, daß es durch meine Fahndungserfolge an ihre Substanz gehen könnte. Es kommt zwar nicht vor, daß ich ein Museum auflöse oder es quantitativ reduziere. Es geht fast immer um Einzelobjekte, aber die haben heute einen erheblichen Wert. Im Berliner Kupferstichkabinett habe ich vor einem Jahr eine Zeichnung van Goghs gefunden, die einen Wert von acht Millionen Dollar hat. Da geht es dem Museum also in finanzieller wie in sammlungsgeschichtlicher Hinsicht doch an die Substanz. Der materielle Aspekt ist aber nur eine Seite. Die Museen haben sich mit Fragen, inwieweit sich ihre Vorgänger an der Ausplünderung der Juden beteiligt haben, nur sehr wenig befaßt oder tun es äußerst unwillig. Zum materiellen Verlust kommt also mitunter auch ein Imageschaden hinzu.
Das heißt, Sie stoßen mit ihrer Arbeit in einen kaum aufgearbeiteten Bereich deutscher Institutionengeschichte vor.
Das trifft auf das Fach Kunstgeschichte in besonderem Maße zu. Ich habe Akten in Berlin und Koblenz gefunden, die belegen, daß Museumsdirektoren institutionell eingebunden waren in die Arisierungsvorgänge. Das heißt konkret, sie waren Gesprächspartner für die Oberfinanzdirektion. Die Museumsdirektoren sind in die Häuser der Juden gegangen und haben dort die Schubladen aufgezogen.
Sie nehmen auch in Washington an der Konferenz teil. Welche Erwartungen haben Sie?
Ich fahre mehr mit Befürchtungen als Erwartungen. Es sieht so aus, als ob sich die Blickrichtung der Konferenz hauptsächlich auf die Schweiz und Frankreich konzentrieren wird. Da scheint es etwas zu kurz zu kommen, was in Deutschland an juristischen Fragen noch offen ist. Ich werde mich um ein Gegengewicht bemühen.
Die Restituierung von Kunstgegenständen ist juristisch ja oft äußerst schwierig, vor allem, wenn sich die Besitzverhältnisse fünf- oder sechsmal geändert haben.
Sagen wir besser, zehn- bis zwanzigmal.
Kann man da zu befriedigenden Ergebnissen kommen?
Auf deutschem Boden sicherlich nicht. In den verschiedenen Ländern ist die Rechtsgrundlage sehr unterschiedlich. Es gelten zum Beispiel unterschiedliche Fristen für den gutgläubigen Erwerb. In Europa ist es fast aussichtlos, ein Bild in privatem Eigentum, das 50mal den Besitzer gewechselt hat, beschlagnahmen zu lassen. Man kann dem 50. Käufer den Erwerb nicht vorwerfen, es sei denn, es handelt sich um ein Werk, dessen Geschichte weitgehend bekannt ist. In den USA sieht das ganz anders aus. Dort hat es Urteile gegeben, die die Beweislast umkehren. Das heißt, der Erwerber muß sich genügend über die Herkunft informieren. Interview: Harry Nutt
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