Kommentar: Modellversuch Islamkunde
■ Stahmers späte Einsicht
Und sie bewegt sich doch. Jahrelang hatte Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) behauptet, ihrer Verwaltung seien beim islamischen Religionsunterricht die Hände gebunden. Schließlich liege die Gotteskunde nach dem Berliner Schulgesetz in der Hand der Kirchen. Solange keine Religionsgemeinschaft den Islam als Ganzes an Schulen vertreten könne, gebe es also keine Islamstunden. Punktum. Doch jetzt hat Stahmer einen Weg gefunden: Alternativ zum Religionsunterricht will sie das Fach „Islamkunde/Ethik“ einführen – als Modellversuch an fünf Grundschulen. Das ist wenig, aber immerhin ein Sprung der Senatorin über ihren Schatten.
Doch Stahmer muß sich fragen lassen, warum sie erst die Initiative ergriff, nachdem sich die fundamentalistische Islamische Föderation vor Gericht einen separaten Religionsunterricht erstritten hatte. Schließlich haben andere Bundesländer längst pragmatische Lösungen gefunden: In Hamburg und Nordrhein-Westfalen machen staatliche Lehrer die Schüler schon längst mit den Grundzügen des Islams vertraut – wenn auch nur während des zusätzlichen türkischsprachigen Unterrichts; in Bayern, wo alles Religiöse einen hohen Stellenwert genießt, liegen die Stunden gar parallel zum christlichen Religonsunterricht – wenn auch der türkische Staat über Personal und Inhalte bestimmt.
Gewiß, in Berlin schien das Problem weniger zu drängen, weil die Teilnahme am Religionsunterricht freiwillig ist. Doch solange die völlige Abschaffung des Religionsunterrichts politisch nicht durchsetzbar erscheint, darf er kein Privileg der christlichen Kirchen bleiben. Das sah auch das Oberverwaltungsgericht so. Weil die Schulverwaltung den Kopf in den Sand steckte, sahen die Richter keine andere Möglichkeit, die Klassenzimmer für die Lehren Mohammeds zu öffnen, als die Zulassung der Islamischen Föderation.
Mit ihrer Untätigkeit hat die Senatorin dem Fundamentalismus den Weg in die Schulen geöffnet. Politik ist die Kunst des richtigen Augenblicks: Hätte Stahmer früher die Initiative zu einer „Islamkunde“ in der Regie des Senats ergriffen, dann gäbe es jetzt möglicherweise ein Problem weniger. Der Rest ist Schadensbegrenzung. Ralph Bollmann Bericht Seite 18
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