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Danke schön und Heil Deutschland

Alte und neue Nazis der Hauptstadt feiern mit deutschem Liedgut den letzten Abend im Café Germania, dem wichtigsten Treffpunkt der Rechtsextremisten  ■ Aus Berlin Philipp Gessler

Vorbei am Mannschaftswagen der Polizei und den kritischen Blicken kurzgeschorener Männer in Bomberjacken an der Eingangstür: Willkommen im Café Germania! Dieser Abend soll der letzte sein für die Kneipe im (Ost-)Berliner Stadtteil Lichtenberg, dem einzigen – zumindest wichtigsten – Nazi-Treff der Hauptstadt. Heute wird Abschied gefeiert.

Mietschulden und der öffentliche Druck gegen das Café haben offenbar die Nazis gezwungen, den Treff aufzugeben: „Mit großem Bedauern hat sich der Verpächter dem linken Terror des Straßenpöbels, aber auch dem Druck der Hausverwaltung gebeugt“, heißt es in einem der judensterngelben Flugblätter, die in der Kneipe ausliegen. „Der Pachtvertrag wurde nach dem vertraglich vereinbarten Probejahr nicht verlängert, eine Kündigung wurde uns überreicht.“

Dem braunen Wirt fehlt Geld. Wohl aufgrund der Kritik der Öffentlichkeit mieden immmer mehr junge Rechte den Laden in letzter Zeit, die Einnahmen gingen zurück. Beschädigungen durch Gegendemonstranten und die Schwierigkeit, noch einen Versicherer zu finden, taten ihr Übriges.

Gestern kam die Gewerbeabmeldung. An den Fenster der Kneipe hängen Plakate, die das Ende des Cafés verkünden, unterschrieben mit „Andreas Voigt“. Der ist zwar offiziell nicht der Betreiber des Ladens, aber nach Ansicht der Lichtenberger Behörden offensichtlich der eigentliche Chef des Treffs.

Dennoch: Die Stimmung ist gut in der nationalbefreiten Zone um den schmucklosen Tresen. Die meisten der gut 50 Männer (fast nur Männer) stehen mit Biergläsern in der Hand an der Wand. Keine Depression in den sehr deutschen Gesichtern, aus den Lautsprechern scheint etwas wie Marschmusik zu dröhnen, der Text ist nicht zu verstehen.

An den Wänden hängen kitschige Fantasy-Germanen-Bilder, in zwei Ecken, wie im Dialog, zwei Fernseher: Auf dem einen laufen Börsenberichte von ntv, auf dem anderen irgendwelche dunkelhäutigen Fußballer der italienischen und spanischen Liga. Keiner schaut hin. „Germanengrog“ preist eine Tafel über der Tür zum Klo an, am Zigarettenautomat daneben die Holzfigur eines wütenden Wotan mit wehenden Haaren, daneben ein grüner Stahlhelm.

Zwei Bilder von Bismarck an den Wänden, einer bei der Kaiserproklamation 1871 im Spiegelsaal von Versailles, das andere eine Zeichnung des Reichskanzlers, grimmig und eisern. Hier geht's zum Nebenraum, in dem eine Handvoll Tische stehen. Irgendwelche Soldaten blicken aus ihren Bilderrahmen wehrbereit auf die jungen Deutschen vor ihren Bieren herab. Es riecht nach Kneipe.

Bewegung kommt in die Menge, als draußen vor der Tür ein paar Leute zu den Klängen einer Ziehharmonika tanzen. Sie haben sich schön gemacht: Vier junge Männer ohne Glatze, offenbar so etwas wie Funktionäre mit adretten Kurzhaarfrisuren, gebügelten Hemden, Stoffhosen und eher ländlichen Pullovern oder Strickwesten, stehen im Kreis in der Kälte. Junge Mädels mit langen glatten, meist blonden Haaren laufen um sie herum.

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben“, singen die Jungmänner, rhythmisch klatschend, „wo ist meine Frau geblieben.“ Dann tanzen sie einen Polka- Schritt im Kreis herum. Gelangweilt trottet ein Polizist vorbei. Keiner der Skinheads tanzt mit, das Happening ist vorbei, die Nazis strömen zurück in die Kneipe.

Hier steigt die Stimmung, es wird Marschmusik gespielt. „Die Wacht am Rhein“ gröhlen die Männer, wenige kennen die Strophen, nur ein etwa 40jähriger Brillenträger im blauen Anzug mit gelber Krawatte kann sie alle. Die Männer finden Spaß am Singen, der Wirt legt offenbar die richtige Musik auf. „Oh, du schöner Westerwald“ wird intoniert – „schmeißt die Juden vom Rad“ singen einige Rechte in den Pausen zwischen den Strophen, dann das Deutschlandlied, alle drei Strophen, das „Deutschland, Deutschland über alles“ mit besonderer Inbrunst. Das Brandenburg-Lied dann, bei der Zeile „Heil dir, Brandenburger Land“ zuckt dem einen oder anderen Neonazi der Arm zum Deutschen Gruß, das „Heil dir“ singen die Skins offensichtlich mit großem Spaß.

Halb elf ist es geworden, das Bier ist alle, manche steigen auf Whiskey oder Antialkoholisches um. Die Funktionäre versuchen noch ein paar Folklore-Tänze mit ihren Mädels, aber die Skins sind nicht zum Mittanzen zu animieren. Schließlich legt der Wirt den „Deutschen Hitmix“ auf, „Jetzt geht's los“ und „Polonaise Blankenese“ trifft eher den Geschmack der Kurzfrisierten.

Am Ende des Abends wirds pathetisch: Der Wirt hinter den Tresen, glattrasiert mit dunkler Lederweste um seinen bulligen Oberkörper, legt ein Lied zur deutschen Treue auf, dann noch mal ein Fallschirmjäger-Lied aus der Wehrmacht. Alle gröhlen mit. Ein Danke an die Gäste, man werde in „drei, sechs oder neun Monaten“ woanders wiedereröffnen. Seiner blonden zierlichen Frau hinter dem Tresen kommen die Tränen.

„Danke schön und Heil Deutschland“, verkündet das Flugblatt, „das Projekt Germania muß und wird zur Höchstform auflaufen ... in der Not sind Heldentaten gefragt.“

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