Schwerter zu Pflugscharen in Spaniens Baskenland

■ Wahlbündnis der ETA will eine gemäßigt-nationalistische Minderheitsregierung unterstützen

Madrid (taz) – Was vor wenigen Wochen unmöglich schien, kann schon bald politischer Alltag im Baskenland werden: Das von Herri Batasuna, dem politischen Arm der ETA, ins Leben gerufene Wahlbündnis Euskal Herritarrok (EH) will Regierungsverantwortung übernehmen. Die beiden gemäßigten nationalistischen Kräfte, die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) und die Baskische Solidarität (EA), prüfen das Angebot wohlwollend.

Fünf Wochen nach den baskischen Parlamentswahlen zeichnet sich damit eine von EA und PNV gebildete Minderheitsregierung ab, die von Euskal Herritarok unterstützt wird. Die will als Gegenleistung ein Sonderprogramm zur Förderung der baskischen Sprache, den Ausbau der baskischsprachigen Schul- und Hochschulausbildung sowie ein klares Bekenntnis zur 35-Stunden-Woche. Nach den Kommunalwahlen im kommenden Sommer wollen die Nationalisten sogar über einen Beitritt zur Regierungskoalition nachdenken. Ein solches Kabinett käme auf 41 Stimmen im Autonomieparlament. Bei insgesamt 75 Abgeordneten ergibt das eine bequeme Mehrheit. Damit erkennt das Umfeld der ETA erstmals in ihrer Geschichte die baskische Autonomieregierung an.

„Ich habe keine Angst, daß uns dies in den politischen Abgrund führt“, weist der Vorsitzende der PNV, Xavier Arzalluz, die Kritik der spanienweit agierenden Parteien an solchen Plänen zurück. Nachdem die ETA ihren im September verkündeten unbefristeten Waffenstillstand einhält, sei er von der Ernsthaftigkeit der neuen Politik überzeugt. Ziel einer rein nationalistischen Regierung müsse es sein, „Schwerter zu Pflugscharen zu machen“.

Andere Koalitionen sind für PNV und EA kaum möglich. Die in Madrid regierende konservative Partido Popular (PP) hat ihre Beteiligung an der Autonomieregierung ausgeschlossen. Zu unterschiedlich seien die politischen Vorstellungen über die Zukunft des Baskenlandes. Und die baskischen Sozialisten (PSE) regierten zwar in den letzten Jahren zusammen mit PNV und EA, stiegen aber wenige Monate vor den Wahlen aus der Koalition aus, als Geheimkontakte zwischen PNV und HB bekanntwurden. Auch jetzt, wo diese Treffen zum ETA-Waffenstillstand geführt haben, setzen die Sozialisten weiterhin auf eine stark zentralstaatlich ausgerichtete Linie. Im Wahlkampf schürten sie die Angst der spanischsprachigen Einwanderer im Baskenland vor einer zunehmenden Eigenständigkeit der Region.

In vielen Bereichen ist die Einheit der Nationalisten längst Realität. Seit Jahren stimmen die PNV- nahe Gewerkschaft ELA und die HB-nahe LAB ihr Vorgehen ab. PNV und HB trafen sich den ganzen Sommer über, um gemeinsam das Forum von Lizarra vorzubereiten. Dort verpflichteten sich 26 Parteien sowie gesellschaftliche und kulturelle Gruppen, gemeinsam nach einer politischen Lösung für den seit über 30 Jahren währenden bewaffneten Baskenkonflikt zu suchen.

Auch beim Versuch, den Frieden zu stabilisieren, gehen die Nationalisten Hand in Hand. Jüngste Initiative ist die Reise einer sechsköpfigen Delegation aus PNV, EA und EH ins US-amerikanische Atlanta, wo sie die Carter-Stiftung für ihr Anliegen gewinnen wollen. Die vom ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter ins Leben gerufene Einrichtung ist auf Vermittlungen in internationalen Konflikten spezialisiert. Die baskischen Nationalisten erhoffen sich von einer internationalen Vermittlerinstanz einen stärkeren Handlungsdruck auf die spanische Regierung, die erst gestern wieder dementierte, Direktkontakte zur ETA zu unterhalten.

Erste vertrauensbildende Maßnahmen lassen ebenfalls auf sich warten. Zwar sollen in den nächsten Tagen 21 Gefangene, die bisher in den beiden spanischen Enklaven an Afrikas Nordküste, Ceuta und Melilla, sowie auf den Kanaren und den Balearen einsitzen, auf das Festland verlegt werden. Doch den Familienangehörigen ist dies zuwenig. Sie fordern, daß die auf ganz Spanien verteilten 530 ETA-Gefangenen in Gefängnisse in oder um das Baskenland gebracht werden und daß 120 Gefangene, die bereits drei Viertel ihrer Strafe verbüßt haben, freikommen.

Am letzten Wochenende gingen in Bilbao über 50.000 Menschen für diese Forderung auf die Straße. Unter den Anführern des Zugs waren zahlreiche politische Führer aller nationalistischen Strömungen, die sich schon bald das Regierungsgeschäft im Baskenland teilen könnten. Reiner Wandler