: Unter allen Gipfeln ist Unruh'
■ Straße frei für 40tonner: Die Europäische Union und die Schweiz haben sich auf die Regeln zum Alpentransit verständigt. Die Schweiz rückt damit näher an Europa. Doch Abgas- und Lärmpegel werden erst einmal steigen.
Draußen auf der Rue de la Loi, der Straße des Gesetzes, brummte bereits wieder der Berufsverkehr, als endlich auch der italienische Verkehrminister seine Zustimmung signalisierte. Nach 18 Stunden im muffigen Sitzungssaal des Brüsseler Ministerratsgebäudes gab er sich dann doch mit dem Kompromiß zufrieden. Er hätte den Schweizer Kollegen gerne gezwungen, die Lastwagen billiger über die Alpen zu lassen. Durchschnittlich 390 Mark soll die Schweiz-Durchquerung für Lkws künftig kosten, schadstoffarme Brummis zahlen weniger, Dreckschleudern mehr. Schrittweise werden auch 40-Tonnen- Fahrzeuge zugelassen.
Bislang dürfen in der Schweiz Lastwagen mit höchstens 28 Tonnen fahren. Die eingenommenen Gebühren will die Schweiz für den Lötschberg-Tunnel verwenden, dessen Bau die Schweizer am vergangenen Sonntag per Volksabstimmung beschlossen haben. Spätestens ab 2008 soll der Güterverkehr von Nord nach Süd dann weitestgehend durch diesen Eisenbahntunnel rollen, huckepack, mit Lkws auf Schienen.
Seit fast fünf Jahren hatten die EU-Minister mit der Schweiz über die Bedingungen für den Transitverkehr gestritten. Immer wieder waren die Verhandlungen kurz vor dem Abschluß gescheitert, zuletzt im Sommer, als der CDU-Verkehrsminister Matthias Wissmann mit Rücksicht auf die Spediteurslobby plötzlich neue Forderungen draufsattelte. Denn für den Lastwagenverkehr stellt das Nicht-EU- Land Schweiz ein schweres Hindernis dar. Zum einen sind da Berge, zum anderen die Schweizer, von denen man nicht so genau weiß, ob sie die Alpen schützen oder nur Geld wollen.
Auf jeden Fall hat die Schweizer Regierung ihre Verhandlungslinie im Laufe der Zeit immer wieder geändert. Ging es ihr anfangs darum, den Schwerlastverkehr möglichst weit einzuschränken und auf die Schiene zu verlagern, so spielten zuletzt die kalkulierten Einnahmen eine immer größere Rolle. Denn das Punktesystem, das für besonders umweltbelastende Brummis höhere Gebühren vorsieht, hat einen Nachteil: Wenn die Speditionen ihren Fuhrpark erneuern und nur noch schadstoffärmere Lkws durch die Schweiz schicken, dann sinken auch die Einnahmen der bekanntlich merkantilen Eidgenossen.
Vor etwas mehr als einem Jahr hat der Schweizer Verkehrsminister das offensichtlich zum ersten Mal richtig durchgerechnet und verlangt, die Straßengebühren schneller anheben zu dürfen als wegen der Inflation ohnehin vorgesehen. Dagegen war die Verhandlungslinie der EU eher geradlinig: Die Schweiz sollte ihr Verbot für Lastwagen über 28 Tonnen aufheben, vor allem sollte sie die Gebühren niedrighalten.
Zwar gibt es auch in der EU- Kommission Leute, die sich Gedanken über eine vernünftige Verkehrspolitik machen. Sie produzieren Grünbücher und Studien, die allesamt eine Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene fordern. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Weil die EU den regen Güteraustausch für einen Wachstumsmotor hält, wurde der Straßenverkehr immer billiger. Im Zuge der europaweiten Harmonisierung sanken allein in Deutschland die Lkw-Abgaben in den letzten Jahren um fast die Hälfte.
Auf die Schweiz konnte die EU vor allem Druck machen, weil die Eidgenossen aus ihrer Isolation herauswollen. Das Transitabkommen ist nur ein Teil des Vertragswerks zwischen der EU und der Schweiz. Daneben sieht es erhebliche Erleichterungen für Schweizer vor, die in einem EU-Land studieren oder arbeiten wollen. Bisher ist das überaus mühsam. Außerdem sollen Firmen bessere Rechte in der EU bekommen, und auch die Swiss Air erhält mehr Start- und Landerechte auf EU-Flughäfen. Doch im Gegenzug müssen eben die Alpen dran glauben. Vor allem die Niederländer, ein Volk von Spediteuren, zeigten wenig Verständnis für deren Schutz. Ähnlich blind hat sich auch die alte Bundesregierung gegeben, wenn es um deutsche Lastkraft ging.
Es ist kein Zufall, daß der Kompromiß gerade jetzt möglich wurde. Es war der erste EU-Verkehrsministerrat der rot-grünen Regierung in Bonn. Am ehesten sind noch die Sorgen der Italiener zu verstehen. Ihr gesamter Handel mit dem Rest der EU geht zwangsläufig über die Alpen. Hohe Gebühren verteuern die Einfuhren und belasten zudem die Exporte, beides tut der Wirtschaft nicht gut.
Auch die Österreicher haben Argumente. Je teurer die Schweiz, desto mehr Lastwagen nehmen den Umweg über Österreich. Im vergangenen Jahr sollen es rund 200.000 gewesen sein. Theoretisch könnte Wien dasselbe machen wie die Schweiz: hohe Gebühren auf der Straße und mit dem Geld die Bahn ausbauen. Aber Österreich ist in der EU, und da gelten andere Regeln. Die Brenner-Maut wurde von der Europäischen Kommission als unfair abgelehnt, weil sie Ausländer stärker belastet als Österreicher.
Für Wien war es deshalb entscheidend, daß gestern gleichzeitig mit dem Schweizer Transitabkommen auch das Problem der Brenner-Maut gelöst wurde. 160 Mark kostet künftig die Lkw-Fahrt von Kufstein zur italienischen Grenze. Das ist gerade so viel, daß es sich für holländische Spediteure nicht mehr lohnt, statt über die Schweiz den Umweg über den Brenner zu nehmen. Alois Berger, Brüssel
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