: Ein Vorstoß von Schily, der keiner ist
Der Innenminister löst eine Diskussion über die Gleichstellung muslimischer Gemeinschaften aus. Dabei fällt die Entscheidung darüber nicht in Bonn, sondern in den Ländern. In NRW gibt es bereits zwei Anträge ■ Von Georg Löwisch
Berlin (taz) – Die Focus-Reporter hatten immerhin den neuen Bundesinnenminister vor sich. Und da sich Otto Schily im Moment zu ziemlich vielen Themen äußert, fragten sie ihn eben auch, ob er denn nicht demnächst den Religionsgemeinschaften der Muslime denselben Status geben werde, wie ihn die Kirchen haben. „Ich bin grundsätzlich nicht abgeneigt“, antwortete der Minister, und schon schrieben am Montag alle Zeitungen vom „Vorstoß“ des Bundesinnenministers.
Die Sache hat einen Haken. Schily ist gar nicht zuständig. Darüber, ob Religionsgemeinschaften den begehrten öffentlich-rechtlichen Status erhalten, entscheiden die Länder. Die Äußerung des Ministers, räumte denn auch Schily- Sprecherin Kerstin Kießler ein, sei nur ein „Diskussionsbeitrag“.
An entscheidenderer Stelle steht die Frage indes längst zur Entscheidung an. Bei der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen beantragte der „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“ schon vor vier Jahren, als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt zu werden. Ein zweiter Antrag der „Aleviten Gemeinden Deutschland e. V.“ wurde 1996 eingereicht. Zwar müssen die anderen Länder gehört werden, letztlich trifft die Entscheidung aber der Düsseldorfer Landtag.
„Es geht um jede Menge Vorteile“, sagt der Kölner Kirchenrechtsprofessor Stephan Muckel. Mit öffentlich-rechtlichem Status sind Befugnisse verbunden, die sonst nur dem Staat zustehen, wie das Recht, Beamte zu haben oder Steuern zu erheben. Sie können Kindergärten einrichten und sich von einigen Steuern und Gebühren befreien lassen. Sogar im Baurecht müßten sie in besonderer Weise berücksichtigt werden und könnten beispielsweise verhindern, daß neben einer Moschee ein Industriegebiet gebaut wird. Um Religionsunterricht als reguläres Schulfach einzuführen, bedarf es zwar eines weiteren Anerkennungsverfahrens. Doch ist eine Gemeinschaft erst als Körperschaft öffentlichen Rechts akzeptiert, wäre sie als Unterrichtsträgerin wohl kaum noch abzulehnen.
Wann eine Gemeinschaft Kirchenstatus bekommt, ist im Grundgesetz in einem knappen Satz geregelt: Sie müsse „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“, heißt es in Artikel 140. Diese Kriterien zu erfüllen dürfte den Muslimen nicht leichtfallen. Als das Düsseldorfer Kulturministerium die anderen Länder um ihre Meinung bat, beanstandeten einige sogleich, Organisationsstruktur und Mitgliederbestand seien zu unklar. Richtig ist, daß die meisten islamischen Vereinigungen relativ neu sind. Der Islamrat wurde 1986 gegründet, die fragliche Aleviten-Vereinigung 1989. Allerdings verkündet Islamrat- Generalsekretär Ghulam Totakhyl, der islamische Weltkongreß als Vorläuferorganisation sei schon 1932 gegründet worden. Und Richard Hardegen, Rechtsanwalt der Aleviten, pocht auf eine Tradition, die kurz nach der Zeit des Propheten Mohammed begann: „Die Aleviten gibt es schon seit vielen 100 Jahren.“
Die NRW-Regierung nennt nach den Worten des Aleviten- Vertreters eine weitere Bedingung: Die Religionsgemeinschaft müsse ein Prozent der Landesbevölkerung vertreten. Bei 18 Millionen Bürgern macht das 18.000 Aleviten – eine Meßlatte, die die Glaubensgemeinschaft laut Hardegen überschreitet. Der Islamrat hat angeblich bundesweit über eine Million Mitglieder.
Ob eine Religionsgemeinschaft demokratische Prinzipien anerkennen muß, steht zunächst nicht im Grundgesetz. Jedoch urteilte das Bundesverwaltungsgericht vergangenes Jahr, Staat und Religionsgemeinschaft müßten „ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt“ haben. Die Zeugen Jehovas, die den Berliner Senat verklagt hatten, setzten sich in Widerspruch zur staatlichen Ordnung, weil sie aus religiösen Gründen die Teilnahme an Wahlen ablehnen. Gegen das Urteil ist nun eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig, die abschließend klären könnte, ob für das Anerkennungsverfahren nur formalorganisatorische oder auch inhaltliche Maßstäbe angelegt werden müssen. Weil das auch für die NRW-Verfahren wichtig ist, werde die Landesregierung womöglich noch abwarten, schätzt Kirchenrechtler Muckel. „Ich vermute, daß die Landesregierung sie weiter vertrösten wird, bis die Sache in Karlsruhe klar ist.“
Tatsächlich ist die Düsseldorfer Regierung noch vorsichtig. Das Kulturministerium erklärte gestern nur, auch NRW würde es prinzipiell begrüßen, wenn der Staat zentrale Ansprechpartner bei den Muslimen bekomme.
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