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Netanjahu blockiert den Friedensprozeß

Weil Palästinenser zwei Israelis verprügeln und ihr Auto abfackeln, wird die Umsetzung des Wye-Abkommens gestoppt. Daß am gleichen Tag vermutlich Israelis einen Palästinenser ermorden, ist unwichtig  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Unterschreiben sei das eine, Umsetzen das andere, hatte Jossi Beilin, der außenpolitische Sprecher von Israels oppositioneller Arbeitspartei, kurz nach der Unterzeichnung des Wye-Abkommens gesagt. Seine Zweifel haben sich bestätigt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den weiteren Truppenrückzug nach den jüngsten Zwischenfällen ausgesetzt und damit den Friedensprozeß erneut blockiert. Anlaß war ein Angriff von Palästinensern am Mittwoch auf ein Auto bei Ramallah, in dem ein Siedler und ein Soldat saßen. Beide wurden verprügelt und mit Steinen beworfen, das Auto ging in Flammen auf. Bei anschließenden Auseinandersetzungen mit israelischen Soldaten wurden 15 Palästinenser verletzt.

Der Angriff in der Nähe von Ramallah war nicht die einzige Gewalttat an diesem Tag. Am frühen Morgen wurde in Jerusalem ein Palästinenser auf dem Weg zur Arbeit erstochen. Er war das zweite Todesopfer bei insgesamt sieben Überfällen dieser Art seit Februar dieses Jahres. Die israelische Polizei geht von einem jüdisch-nationalistischen Attentäter aus, weil in allen sieben Fällen das gleiche Messer am Tatort zurückgelassen wurde.

Das israelische Sicherheitskabinett beschloß, den Palästinensern neue Bedingungen zu stellen, darunter solche, die im Wye-Abkommen nicht formuliert sind: Die Palästinenser müßten die Demonstrationen zur Freilassung von politischen Gefangenen sofort beenden und jede Gewalt im Keim ersticken. Palästinenserpräsident Jassir Arafat müsse sich verpflichten, am 4. Mai 1999 auf die Ausrufung eines palästinensischen Staates zu verzichten. Mitte des Monats müsse zudem erneut über die Annullierung der PLO-Charta abgestimmt werden.

Die US-Regierung hat die neuen israelischen Forderungen inzwischen zurückgewiesen. Die frühere palästinensische Erziehungsministerin Hanan Aschrawi sprach von „fabrizierten Ausreden, um das Wye-Abkommen nicht zu implementieren“.

Angesichts des vergleichsweise unbedeutenden Überfalls in Ramallah ist die Reaktion der israelischen Regierung nicht leicht zu verstehen. Beschwört sie damit doch eine neue Krise im ohnehin noch getrübten Verhältnis zur US- Regierung herauf. Ohne die weitere Umsetzung des Wye-Abkommens droht der in zwei Wochen vorgesehene Besuch von US-Präsident Bill Clinton in Israel und in Gaza zur Farce zu werden. Doch es sind weniger außen- als innenpolitische Faktoren, die Netanjahus Handeln bestimmen. Seit der Unterzeichnung des Wye-Abkommens hat die Regierungskoalition ihre Mehrheit verloren. Wichtige Parlamentsabstimmungen stehen an, von der Verabschiedung des Haushalts bis hin zu einem Gesetz über die vorzeitige Selbstauflösung des Parlaments.

Noch hat die neunköpfige Fraktion der National-Religiösen Partei nicht entschieden, ob sie für oder gegen die Regierung stimmen wird. Und immer lauter werden Stimmen, die eine Regierung der „nationalen Einheit“ unter Einschluß der Opposition fordern. In den vergangenen Wochen hat Netanjahu deshalb verzweifelt um neue Koalitionspartner gebuhlt, angefangen bei seinem Erzfeind, dem früheren Außenminister und derzeitigen Vorsitzenden der Gescher-Partei, David Levy. Doch mit den wenigen Gescher-Abgeordneten ist Netanjahu noch nicht aus dem Schneider. Und die rechtsradikale Tsomet-Partei fordert sichere Listenplätze für die nächste Parlamentswahl, ehe sie in die Arme von Netanjahus Likud zurückkehrt.

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