: Der homosexuelle Mann ... Von Elmar Kraushaar
... ist – wie soll man sagen: Feige? Oder ängstlich? Ganz pragmatisch? Politisch gänzlich naiv? Vielleicht müssen wir alles zusammen annehmen, und wir kommen darauf, warum die Partie gegen den kleingeistigen Heterodarsteller aus der „Tagesschau“ so schäbig in die Hose ging. Ein Kompromiß wurde ausgehandelt. Ein Kompromiß! Der eine darf via Focus erklären, daß er den Prozeß gegen das Wörtchen „schwul“ führen muß, um der „Damenwelt“ erhalten zu bleiben. Die anderen dagegen sicherten die Existenz ihres Verlags. So wird es für alle schon recht sein.
Auf der Strecke bleibt die politische Klarheit. „Schwul“ – eine Beleidigung? Ein Schimpfwort? Die Geheimwaffe, um eine Karriere zu zerstören? Die Fragen bleiben offen hierzulande, und mehr als ein schlechter Geschmack hängt weiterhin an allen Homosexuellen.
Dabei wird die liberale Öffentlichkeit – falls sie's denn interessierte – ebenso zufrieden gewesen sein mit dem Riewa-Kompromiß wie ein großer Teil der Schwulen. Denn: Ist es nicht egal, was der Herr vom Bildschirm in seinem Privatleben macht? Geht das überhaupt jemanden etwas an? Und hat nicht jeder das Recht, selbst darüber zu entscheiden, was er öffentlich über sich erzählt und was nicht?
Fuck! Diese Heterofalle wird uns noch bis in das nächste Jahrtausend begleiten. Homosexuelle haben kein Privatleben! Das, was für andere privat ist, reichte vor 60 Jahren noch aus, sie in Konzentrationslager zu schicken; reichte vor mehr als 30 Jahren, sie vor Gericht zu stellen oder in die Psychiatrie einzuweisen; reicht heute noch für Beschimpfungen und Beleidigungen, miese Vorurteile und handfeste Gewalt. Und von einem Recht auf freie Entscheidung kann gar keine Rede sein. Hätten Schwule tatsächlich die freie Verfügung darüber, öffentlich über sich zu schweigen – hätten wir sicher nicht solche Prozesse und Debatten am Hals. Noch einmal: Niemand würde auch nur auf die Idee kommen, mit dieser rhetorischen Munition dagegen vorzugehen, wenn über diesen oder jene öffentlich gesagt wird, er oder sie sei heterosexuell. Das gehört zum Standard einer jeden Auskunft über den anderen. Warum aber werden bei Lesben und Schwulen diese Grenzen gezogen? Aus Schicklichkeit? Eine Regel des Anstands oder gar eine Frage der Ehre? Von wegen Dezenz? Vielleicht aus Gründen des Datenschutzes? Es gibt keinen einzigen verdammten Grund, darüber nicht zu reden. Wenn Schwule aber dennoch diese Grenzen akzeptieren, die sie nie selbst aufgestellt haben, dann lassen sie damit jeden Anspruch auf Emanzipation und Gleichstellung fahren.
Was darunter zu verstehen ist, das haben jetzt ganz andere in der Hand: „O.K. to be gay“ schlagzeilte Mitte November das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek. Wie wir das zu verstehen haben, stand gleich darunter: „Die Sexualität eines Menschen ist keine öffentliche Angelegenheit.“ Wohlgemerkt, bei dieser Feststellung geht es nicht um das Fazizt der Clinton/Lewinsky-Affäre, es geht um das Leben von Lesben und Schwulen, ihr kleines oder auch ganz großes Leben. Das wird – und das ist die Heterofalle – reduziert auf das, was zwei homosexuelle Menschen im Bett oder sonstwo miteinander machen. Mehr wird ihnen nicht zugestanden. Und dieses Bißchen mögen sie – so die Message – doch für sich behalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen