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Scharbeutz Von Joachim Frisch

Mein Lieblingsurlaubsziel ist seit letzten Sommer Scharbeutz an der Ostsee. Nicht, daß sich Scharbeutz von allen anderen, hoffnungslos überlaufenen und überteuerten Nestern der Lübecker Bucht unterscheidet; nicht, daß man ausgerechnet in Scharbeutz von der üblichen Ostseeurlauberplage verschont bliebe, von Prahlhanseln mit gesträhntem Nackenspoiler; von sonnenstudiovorgebräunten Prachtblondinen aus Quickborn und Düsseldorf; von porschefahrenden Sushifressern, denen kein Restaurant exklusiv genug und kein Pils schnell genug gezapft ist; oder von Kellnern, die ihre Gäste behandeln wie Sachbearbeiter des Sozialamts dreiste Punks, die für ihre Straßenköter Sonderleistungen für Rindfleisch beantragen.

Auch das Wetter in Scharbeutz gehört eher zu den Plagen der Ostsee, als daß es zum Urlaub einladen würde – in Scharbeutz ist es sogar eine Spur trüber als an den anderen Küstenorten, was die Zeile „Wenn der nimmer enden wollende graue Regen fällt“ in dem Gassenhauer „In Scharbeutz“ beweist, gesungen auf die Melodie des Prince-Hits „Purple Rain“.

Warum also Scharbeutz? Weil Scharbeutz der letzte Ort der westlichen Welt ist, an dem in der Ordnungsbehörde keine Bürokraten sitzen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Von diesen Menschen erhielt ich einen Brief, der mich wahrhaftig gerührt hat: „Sehr geehrter Herr Frisch“, schrieb man mir im Auftrag des Bürgermeisters, „aufgrund Ihrer Einlassung wird das unter dem o.a. Aktenzeichen ausgesprochene Verwarnungsgeldangebot zurückgenommen.“ Schreibt so eine Behörde im Namen der Obrigkeit? Weht nicht zwischen diesen Zeilen der Geist der Utopie des herrschaftsfreien Diskurses? Was anderes als der Vorbote einer besseren Welt ist ein Staat, der sich nicht herab-, sondern einläßt, auf die Einlassungen seiner Bürger nämlich, der Verwarnungsgelder nicht verordnet, sondern anbietet? Und der sein Angebot sogar zurücknimmt, wenn Bürger triftige Argumente wie dieses vorbringen: „Sehr geehrte Damen und Herren. Ich bin davon überzeugt, daß Ihre Parkscheinautomaten so präpariert sind, daß sie ab einem Betrag von 4 DM keine Münzen mehr annehmen“?

Unter anderem mit diesem Argument hatte ich gegenüber der Stadt Scharbeutz die Zahlung des besagten Verwarnungsgeldangebotes über 30 Mark wegen Parkens ohne Parkschein, der fünf Mark gekostet hätte, abgelehnt. Das war kaum geflunkert, ich bin mehr denn je davon überzeugt, daß neben Zigaretten- und Cola- vor allem Fahrkarten- und Parkscheinautomaten zu Lasten der Kunden präpariert sind. Trotzdem fiel ich aus allen grauen Regenwolken, als ich die Antwort las, denn daß ein Nutznießer der Manipulation mein Argument anerkennen würde, hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Meine Beschwerde hatte ja lediglich den Zweck, die Chance auf Erledigung mit Hilfe des Amtsschimmels zu erhöhen. Na gut, zugegeben, ein wenig wollte ich auch meinen Ärger über doofe und häßliche Parkscheinautomaten loswerden und suchte sozusagen Genugtuung in frei flottierendem Querulantentum. Was ich aber fand, war pure Menschenfreundlichkeit, und das in einer Ordnungsbehörde. Wenn das in diesen Zeiten mal keine Reise wert ist.

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