Ein vergessener Skandal

■ Alois Brunner war ein akribischer Vollstrecker des Holocaust. Bis heute blieb der SS-Mann unbehelligt ("Die Akte B." 23.00 Uhr, ARD)

Er war ein eifriger, sorgfältiger Arbeiter. Sein Job macht ihm Spaß: Die Vorgesetzten lobten ihn, er war effektiv, engagiert und zielstrebig. Sein Fleiß paarte sich mit sich mit korrekter Gesinnung. Als er heiraten wollte, meldete er dies pflichtgetreu bei den dafür zuständigen Stellen an und bat um die entsprechende Genehmigung.

Die Rede ist von Alois Brunner, dessen Job es war, so viele Juden wie möglich nach Osten zu deportieren, in den Tod. Er organisierte den Transport der Wiener Juden nach dem Anschluß Österreichs im Jahr 1938. Damit machte er auf sich aufmerksam: denn er tat mehr, als von ihm verlangt wurde. Auch seine Methode war beispielhaft. Er zwang die jüdischen Gemeinden zur Mitarbeit. So machte er Karriere. In Saloniki, in Nizza 1943, in Paris 1944 bewerkstelligte Brunner den Massenmord an den Juden. Kaum jemand konnte das so gut wie er. Er war nicht nur ein Schreibtischtäter, sondern einer, der selbst Hand anlegte. In Saloniki bezog er ein Haus, im Keller wurde gefoltert, oben wohnte er, der SS-Sturmbannführer. Von dort schrieb er einem Freund: „Schönes Wetter in Saloniki. Die Gelben Sterne funkeln und mancher Landser wird sagen: Meine trägt ja auch einen.“

Vier Monate arbeitete Brunner in Saloniki. Danach gab es dort 49.000 Juden weniger. Heute lebt Brunner, 86 Jahre alt, in Damaskus, beschützt von Syrien. Die deutsche Justiz versuchte in den letzten Jahrzehnten nur matt, Brunner dingfest zu machen. Ein vergessener Skandal.

Georg Hafner und Esther Schapira, Redakteure des Hessischen Rundfunks, haben nun den Lebenslauf Brunners nachgezeichnet: die Skizze eines Massenmörders. Er stammt aus einfachen, bäuerlichen Verhältnissen; Nazi zu sein ist Karrierechance. So „arisiert“ Brunner in Wien eine Villa und zieht dort ein. Es geht, ganz profan, um sozialen Aufstieg. Coram publico quält und erschießt er Siegmund Bosel, einen der reichsten Männer Österreichs in den 30ern. Eine Tat, gleichermaßen angetrieben von Antisemitismus und Sozialneid.

„Die Akte B.“ beleuchtet dieses Leben vor allem aus der Perspektive der Opfer. Serge Klarsfeld erzählt, wie die SS seinen Vater aus der Wohnung in Nizza holte, vis- à-vis von Brunners Hauptquartier gelegen. Man hört ein Dutzend jener Geschichten, über die Fritz Weinschenk, der als Rechtsanwalt in New York eine Weile mit Ermittlungen gegen Brunner befaßt war, sagt, danach habe er stets einen Scotch trinken müssen. Diese Verschränkung von Täter- und Opferbiographien ergibt den erzählerischen Reichtum dieser Dokumentation.

Man sieht: Es waren keine Ideen, kein Zeitgeist, keine Ideologien. Es waren konkrete Menschen. Stefan Reinecke