: Auf den Hörnern singen
Er behauptet zwar, am schönsten zu spielen, „wenn gerade keiner zuhört“, doch in der DDR gehörte der Altsaxophonist Ernst-Ludwig Petrowsky zu den großen Stars der Jazzszene. Ein Porträt zu seinem 65. Geburtstag ■ Von Maxi Sickert
Ernst-Ludwig Petrowsky ist erst ab 13 Uhr erreichbar. Denn Üben geht nur zwischen elf und eins. Gerichtsentscheid, Mieterkrieg. Nervende Alltäglichkeiten in Oberschöneweide und anderswo. Für „Luten“ Petrowsky, wie er auch gern genannt wird, ist Jazz Lebenshaltung. Seit über 40 Jahren gehörte er vor allem in der DDR zu den Musikern, die durch die Verbindung von freier Improvisation und ironisch verfremdeten volksliedhaften Themen dem Jazz einen ganz eigenen Ausdruck gaben.
Geboren zu Beginn von Hitlers Machtergreifung 1933 in Güstrow, einer Kleinstadt in Mecklenburg, irgendwo zwischen Rostock und Hamburg. Im Norden eben, wo der Wind regiert und das Meer. Die Eltern haben eine Papiergroßhandlung, und zu den Kunden zählen auch Künstler, wie Ernst Barlach. Zwölf Jahre später die stalinistische „Befreiung“, einhergehend mit zentraler Verstaatlichung. Die versuchte Negierung des Individualismus. Auf einer Tanzveranstaltung, zu der ihn die Eltern mitnehmen, hört Petrowsky zum erstenmal Jazz. Durch Zufall. Es ist die B-Seite einer Schlager-Schellackplatte.
Der Zugang der DDR-Musiker zum Jazz blieb lange Zeit schwierig, es gab nur eine verklärte Vorstellung von Jazz, die sich durch Platten oder schlecht zu empfangende Musikfetzen im Radio vermittelte. „In der DDR hat es nie eine Jazzszene gegeben, wie man sie hier kennt. Es gab keine öffentlichen Clubs, keine Veranstalter und keine Presse“. Mit seiner Ästhetik von freier Improvisation prägte Petrowsky die Vorstellung von Jazz in der DDR.
Nach dem abgebrochenen Musikstudium in Weimar spielte er ab 1957 mit dem Orchester Eberhard Weise. Genau zu der Zeit, als Walter Ulbricht per Gesetz festlegte, daß nicht mehr als 40 Prozent „westliche“ Musik erlaubt sind, denn „unser Ziel ist es, daß die Tanzmusik auf ihre Weise mithilft, unsere Menschen im sozialistischen Sinne zu erziehen“. Petrowsky geht nach Görlitz, wo er über den dortigen Kulturhausleiter Auftrittsmöglichkeiten und eine Wohnung bekommt. Es gibt keine Heizung, keine Toilette und nur sehr wenig Geld. Aber es gibt die Freiheit des Augenblicks. Jazz.
Nach der Wende kam erst mal keiner mehr
In den 60ern gründet Petrowsky das Manfred-Ludwig-Sextett, und 1967 stößt er durch Zufall in der staatlichen Rundfunkanstalt auf einen, der Jazz mag. So erhält er die Möglichkeit, das „Rundfunkjazzensemble Studio IV“ zu gründen. Neben der Arbeit für die Gruppe „Synopsis“ in den 70ern, die sich später als „Zentralquartett“ neu formierte, und verschiedenen anderen Bandprojekten produziert er im Studio IV des alten ORB in der Nalepastraße einmal im Monat Jazzaufnahmen. Petrowsky hatte Starstatus und volle Säle. „Es gab ein regelrechtes Stammpublikum, das uns DDR- weit nachreiste.“
Nach der Wende kam dann erstmal keiner mehr. „Da habe ich mich gefragt, ob die uns jemals richtig zugehört haben.“ Und Petrowsky klingt trotz seines unerschütterlichen musikalischen Idealismus verbittert, wenn er sagt, er habe „die Szene satt“. Die Veranstalter, die Medien, die Trends. Daß es keine persönlichen Kontakte mehr gebe. Petrowsky wird unter dem Begriff „Free Jazz“ gehandelt. Das klingt heute eher nach dem Mief eines feuchten, ungelüfteten Kellers als nach der Freiheit des Ausbruchs aus konventionellen Strukturen. So sieht er sich auch nicht als „Free Jazzer“, sondern einfach als „Mecklenburger und Musiker“, als Schüler von Ornette Coleman. Der sei ein ausgezeichneter Komponist und Querdenker, der die Formensprache beherrsche. Sein bluesbetonter Alt kümmert sich nicht um stilistische Abgrenzungen.
Petrowsky liebt Musiker, die ihr Instrument vokalisieren, die „auf ihrem Horn singen“. Und dann die Sängerin, die ihre Stimme instrumentalisieren kann. So begann 1980 die bis heute anhaltende Zusammenarbeit mit Uschi Brüning, die Petrowsky mal als „Duo für Stimmband und Bambusblatt“ bezeichnete. „Sie ist die Antwort auf die Frage nach Improvisation.“
Und obwohl er bisher immer von seiner Musik leben konnte, findet er längst nicht jedes Konzert gelungen. Schließlich kann man nicht auf Bestellung kreativ werden. Vor allem, wenn die Musik nicht festgeschrieben ist, sondern sich frei improvisiert entwickelt. „Am schönsten spiele ich, wenn gerade keiner zuhört. Erst letztens war ich nachts allein in einem Zugabteil. Ich öffnete das Fenster und spielte zu dem Geräusch des Windes. Aber nicht zu laut, um den Wind nicht zu übertönen.“
Aktuelle CD: Zentralquartett „Careless Love“ (Intakt)
Nächste Konzerttermine: 16. Dezember, 18 Uhr, Galerie 100, Konrad-Wolf-Str., Hohenschönhausen; 19. Dezember, 20 Uhr, Vollrads Tonsaal, Schönhauser Allee 177, Prenzlauer Berg
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