: Einblick: Alles von Pappe
„U-Boot, Typ 7c, bitte!“ Jens Rudel fackelt nicht lange. Der 54jährige Postbeamte ist immer bestens informiert, wie er seinem Hobby neue Nahrung geben kann: Modellschiffe – nicht aus Metall oder Plastik, sondern, maßstabsgerecht, aus Karton. „Mein Großvater war bei der Marine. Schiffe interessieren mich, man liest was drüber und macht sich schlau“, erklärt er seine Leidenschaft. „So kommt das.“
Rudel ist Stammkunde im Fachgeschäft „Scheuer & Strüver“, dessen Repertoire sich allerdings nicht nur aus Kriegs- und Handelsmarine speist. Im Gegenteil: Ob Eisen- oder Straßenbahn, Ballon oder Hubschrauber, Totempfahl oder Pferdchenkarussell – Konkretes und Kurioses aus aller Welt und immer aus Pappe findet sich im umfangreichen Katalog; der Athener Parthenon läßt sich ebenso zusammenkleben wie das Biedermeier-Zimmer oder das Hubble Space Telescope. „Kartenmodellbau“, sagt Liane Strüver, „ist der Gegenpol zu der ganzen Technisierung der Spielwaren. Dort geht alles noch manuell.“
Otto Ladewig, selbst kein Bastler, hat es eher zufällig nach Winterhude verschlagen. Der 49jährige sucht ein Mitbringsel für die neunjährige Hanna und hat jetzt die Qual der Wahl: Dino-Skelett oder Lady Di-Anziehpuppe? Oder doch lieber den Zoo-Ausmalbogen zum Aufkleben? Die Bastelbögen sind mit Schwierigkeitsgraden versehen, von 0 (“sehr einfach“) bis 5 (“super schwierig, für Freaks und Mutige“). Und während Hanna mit Kleber und Schere noch ausreichend versorgt ist, kommen gewiefte Tüftler ohne Chirurgen-Besteck nicht aus: Skalpell für exakte Schnitte, Pinzetten für Kleinteile und chirurgisches Nahtmaterial als Takelbahn. Spezielle Pinsel gegen den Staub und UV-Schutzlacke gegen das Ausbleichen der Farben helfen, die Modelle am Leben zu erhalten.
Doch wohin mit all den Kunstwerken, die der exzessive Modellbauer in mühe- und liebevoller Kleinarbeit erstellt hat? Irgendwann quellen die Regale und Vitrinen über, und nicht jeder hält das Empire State Building – Modellhöhe 1,31 Meter – für eine dekorative Bereicherung seiner Zwei-Zimmer-Wohnung. Da, erzählt Liane Strüver, muß meist der Arbeitsplatz herhalten. Ein Musiklehrer stellt seine Bauwerke in Glaskästen in der Schule aus. Andere nehmen ihre liebsten Stücke mit ins Büro, um dem Arbeitsplatz die persönliche Note zu geben.
Da hat es ein anderer Käufertyp bei „Scheuer & Strüver“ leichter: Auch der „Sammler“ ist zwar eifriger Katalog-Leser und immer auf der Jagd nach den neuesten Bausätzen für Schiffe, Burgen und Flugzeuge. Doch anders als der „Bauer“ kauft er die Bastelbögen lediglich zur Erweiterung seiner Kollektion. Und hortet sie – originalverschweißt in der Plastikhülle.
Andreas Hornung
Scheuer & Strüver, Jollassestieg 4-8, 22303 Hamburg, Tel.: 69 65 79-0, Fax: 69 65 79-79
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen